Tim Caspar Boehme
hört auf den Sound der Stadt
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Gerechtigkeit gibt es ja leider viel zu wenig in der Welt, und da die Musik nun einmal immer in der Welt ist, selbst wenn sie manchmal nicht von dieser Welt zu sein scheint, geht es dort ebenfalls nicht immer mit rechten Dingen zu. Während es zu Beginn des Jahres oft sehr übersichtlich ist mit dem, was in der Stadt an Musik geboten wird, stehen sich die Konzerte zu anderen Zeiten mitunter – sicher schmerzvoll – gegenseitig auf den Füßen. Diese Woche ist wieder so ein Fall. Da ist die eigene Auswahl zwangsläufig ein Akt der Ungerechtigkeit, weil man mit jedem Konzerttipp, der hier auftaucht, gleich eine Reihe anderer ebenbürtiger Optionen ausschließt (diese raumgreifende Vorrede selbst gehört paradoxerweise auch dazu). Statt aber einfach die Tagestipps in die Kolumne zu kopieren, sei ausdrücklich empfohlen, das Kleingedruckte in den Rubriken „Konzerte“ genauer zu studieren. Herausheben kann man da am Freitag zwei Auftritte des in Berlin lebenden US-amerikanischen Kontrabassisten Chris Dahlgren, der seine Avantgardejazzkenntnisse bei dieser Gelegenheit an einem „historischen“ Instrument demonstriert, einer Viola da gamba. Zu seinem Ansatz passend tut er das in der KlangGalerie, am Sonnabend macht er dasselbe gleich noch einmal (Greifswalder Str. 224, jeweils 17 + 21 Uhr, 6,50 €).

Mehr Musiker und überhaupt mehr Sinne als nur die Ohren spricht an denselben beiden Abenden das vierte „Synästhesie-Festival“ in der Kulturbrauerei an. Mit einem Auftritt etwa der verdienten britischen Space-Rocker Spiritualized, den US-amerikanischen Post-Punkern The Soft Moon und den sich stilistisch stets weiterentwickelnden Berliner Krautrock-Synthiepoppern Camera (Schönhauser Allee 36, Freitag ab 18 Uhr, Festivalpass 65,90 €).

Woran merkt man übrigens, dass ein Musiker etwas zu sagen hat? Dass er hörertypenübergreifend für unmittelbar begeisterten Zuspruch sorgt, ist allemal ein gutes Indiz. Leonard Bernstein gehört ganz sicher in diese Gruppe von Musikern. Und bei ihm macht es überhaupt keinen Unterschied, ob es sich um eigene Musik oder die von ihm dirigierte handelte, er konnte sich genauso gut über die Werke anderer ausdrücken. Die Komische Oper begeht derzeit aus gegebenem Anlass „Bernstein 100“, am Sonntagvormittag (11 Uhr, 15 €) mit einem Kammerkonzert, das ein Bernstein-affines Programm unter anderem mit Charles Ives, Aaron Copland und Kurt Weill bietet, am Abend führt das Orchester der Komischen Oper unter Frank Strobel dann Bernsteins Musik zu Elia Kazans Filmklassiker „On the Waterfront – Die Faust im Nacken“ auf (Behrenstr. 55–57, 18 Uhr, 10–33 €).