„Massenbetrieb ist das richtige Wort“

Wegen des Lehrermangels in den Schulen mussten die Unis in kurzer Zeit viele neue Studienplätze schaffen. Das gehe zulasten der Qualität, sagt HU-Professor Detlef Pech

Detlef Pech ist Direktor der Professional School of Education und Professor für Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Interview Anna Klöpper

taz: Herr Pech, vor zwei Jahren wurde die Zahl der Lehramt-Studienplätze an den Berliner Unis angesichts des dramatischen Fachkräftemangels der Schulen massiv hochgefahren. Von null auf hundert zum Massenbetrieb – wie läuft’s?

Detlef Pech: Das ist natürlich ein ziemlicher Kraftakt. Wir hatten früher an der HU im Grundschullehramt insgesamt 400 Studierende. Die lassen wir jetzt in einem Jahr zu. Demnächst haben wir also 2.000 Studierende gleichzeitig im System, allein im Grundschullehramt. Massenbetrieb ist das richtige Wort. Der Unterschied ist, dass wir in den früheren Hochschulverträgen mit dem Land nach Studienplätzen bezahlt wurden, also nach den Kapazitäten, die wir auch tatsächlich bereitstellen. Jetzt sind Absolventenzahlen festgelegt, die wir erreichen müssen, das ist ein wichtiger Unterschied.

Wieso?

Wir müssen uns schon bei der Zulassung im Bachelor daran orientieren, was nach dem Master herauskommen soll. Das heißt, um auf die vom Land geforderten jährlich 330 Absolventinnen und Absolventen im Grundschullehramt an der HU zu kommen, müssen wir – unter Berücksichtigung der Abbruchquoten – deutlich mehr Studienanfänger zulassen.

Mit anderen Worten, das Grundschullehramt an der HU ist hoffnungslos überbucht?

Ich würde sagen, wir haben überhaupt keine Routine mit diesen Studierendenzahlen. Und die Prüfungsämter und die Lehrbeauftragten hatten in der Kürze auch keine Zeit, Routinen zu entwickeln. Das schlägt sich jetzt für die Studierenden in der Organisation der Lehrveranstaltungen und Prüfungen nieder. Da gibt es Seminare, die angesichts ihrer Teilnehmerzahl keine Seminare mehr, sondern Vorlesungen sind. Und es ist inzwischen auch ein Kampf um Hörsaalkapazitäten, weil wir den klassischen Massenfächern Jura und BWL Konkurrenz machen.

Routinen kann man entwickeln. Aber wie sieht es beim Personal aus, wie bekommen Sie den Massenbetrieb betreut?

Wir haben vier zusätzliche Professuren bekommen plus deren wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber es gibt Probleme bei der Betreuung im Praxissemester (im dritten Semester gehen die Masterstudierenden für ein Praktikum in die Schulen; d. Red.).

Was sind das für Probleme?

Früher hatten wir zum Beispiel in meinem Fach zwei Praktikumsgruppen mit je 16 Studierenden. Jetzt werden es bald 250 Studierende parallel im Semester sein. Eigentlich sollen sie von ihren Lehrenden an den Schulen zweimal besucht werden. So ein Besuch dauert mit Vorbereitung, Nachgespräch und Anfahrt schnell mal vier Stunden oder mehr. Das ist aber ein Vielfaches dessen, was uns dafür auf dem Papier zugestanden wird. Bei den 30 Studierenden früher konnten wir das kompensieren, das geht jetzt nicht mehr.

Was ist die Konsequenz?

Dass die Studierenden vielleicht nur noch einmal besucht werden. Oder keinmal.

Sie kritisieren auch Notfallprogramme wie „Unterrichten statt Kellnern“ der Bildungsverwaltung, die Masterstudierenden einen Arbeitsvertrag an einer Schule anbietet, noch bevor sie mit dem Studium fertig sind. Das ist vielleicht nicht optimal, aber immerhin tut man etwas, oder?

Ganz klar: Wir haben in Berlin eine Situation, die desaströs ist, und wir brauchen auch Notfalllösungen – am besten solche, die das Land gemeinsam mit den Hochschulen entwickelt. Ich sehe aber folgendes Problem: Die Mindestanforderung für einen unbefristeten Vertrag an einer Schule ist inzwischen nur noch der Bachelorabschluss. Mir fallen spontan mindestens zehn Fälle ein, die vor dem Master abgebrochen haben, um zu unterrichten. Man sollte sich deshalb fragen: Greifen diese Notfallmaßnahmen so, dass wir Menschen daran hindern, das Lehramtsstudium ordentlich abzuschließen? Für junge Studierende Anfang 20 ist das Gehalt, das sie auch mit Bachelorabschluss bekommen, ja unglaublich viel Geld.