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: Einen Schnaps für Frau Ministerin

Beschimpftwerden vor „Zeit“-Leser*innen: In Hamburg sprachen Spitzenpolitiker*innen über Hass-Mails und echte Attacken

Was, wenn es nicht bei bösen Botschaften bleibt?Andreas Hollstein (v. l.), Ursula von der Leyen, Giovanni di Lorenzo, Heiko Maas und Cem Özdemir Foto: Georg Wendt/dpa

Dumme Sau“, „Politschlampe“, „du bist scheiße“: Es waren Menschen, die sich von Berufs wegen in öffentlichen Diskussionen härter angehen lassen müssen als die restliche Bevölkerung, die da am Sonntagabend in der Hamburger Kulturfa­brik Kampnagel auf der Bühne saßen: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der Bürgermeister des nordrhein-westfälischen Altena, Andreas Hollstein (beide CDU), Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Vor hunderten Zuschauer*innen hörten sie sich Pöbeleien aller Art an, vorgetragen von einem „Chor des Hasses“. Der bestand allerdings aus Schauspieler*innen – Iris Berben, Claudia Michelsen, Dietmar Bär und Robert Stadlober –, und der verlesene wie auch in weißen Lettern an die schwarze Wand geworfene Hass stammte aus den E-Mail-Postfächern der Politiker*innen. Ausgedacht hatte sich den Abend Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, der auch selbst auftrat.

Und wenn es nicht bei Worten bleibt? Schwer vorzustellen, wie Heiko Maas sich gefühlt haben muss, als er eine Neun-Millimeter-Patrone in seinem Berliner Briefkasten fand. Vor seiner Familie habe er diese unmissverständliche Botschaft zeitweise versteckt, erzählte er nun. Besonders schlimm sei, nicht zu wissen, wer so was macht – es hätte jeder sein können, so Maas. Er nannte es statistisch auch nicht unwahrscheinlich, dass eine*r der anwesenden Zuschauer*innen schon Hassnachrichten geschickt habe. Der währenddessen immer nervöser wirkende di Lorenzo reagierte: „Bei unseren Lesern kann man sich immer sicher sein, dass sie so was nicht machen.“ Gelächter im Publikum, wo zuvor viele Köpfe geschüttelt worden waren, als Worte wie „Drecksfotze“ und Neuschöpfungen wie „Flugmeilenbetrüger“ fielen.

Cem Özdemir hat von den Vieren wohl die größte Hass-Community, ist schon seit den 90er-Jahren ein beliebter Adressat. Ihm sei schon alles angedroht worden, was es so gibt, ausgefeilte Mord- und Folterfantasien inklusive. Und doch wurde der Grüne beinahe nostalgisch bei dem Gedanken, dass seine Feinde früher, – vor Facebook und Twitter – noch fein säuberlich einzelne Buchstaben aus Zeitungsartikeln ausschnitten und aufklebten, um sie dann als Drohbriefe zu schicken.

Ursula von der Leyen brachte Sorge zum Ausdruck über die Entwicklung: Früher seien es mehr Pöbeleien à la „Schäme dich“ gewesen, heute dagegen immer wieder stark sexualisierte Beleidigungen. Als die Ministerin ein einschlägiges F-Wort ausspricht, zucken wieder einige im Publikum zusammen. Sie mahnt, umringt von zustimmendem Nicken, dass solche Botschaften auch Menschen auf den Plan riefen, die den Worten Taten folgen lassen.

Davon berichtete Andreas Hollstein: Im vergangenen November wurde er Opfer eines Attentats: In einer Dönerbude wollte ein Mann, deutsch, 56 Jahre alt, den Bürgermeister niederstechen – wegen dessen liberaler Flüchtlingspolitik. Er sehe, so Hollstein jetzt, seine Stadt anders seitdem. Und seine vermutlich überwiegend rechten Gegner werfen ihm per Hass-Mail vor, allzu weinerlich in den Medien aufzutreten und „selbst schuld“ zu haben: Weil er die falsche Politik mache.

An Hollsteins Beispiel erkenne man, dass die Flut der Hass-Mails mittlerweile alle Rahmen sprenge, sagte di Lorenzo im Anschluss: Da bekomme der Bürgermeister einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen mehr als 8.000 Hassnachrichten und Drohungen.

Da ist es vielleicht allzu verständlich, dass Ursula von der Leyen nach der Darbietung erst mal einen Schnaps brauchte. Yasemin Fusco