Vorerst gewonnen

Die Politiker in NRW finden es okay, angesichts des Klimawandels einen Wald zu roden. Die Justiz aber sieht das anders: Vorerst darf im Hambacher Forst nicht gerodet werden

Mitte September und schon historisch: Transparent einer Hambach-Aktivistin Foto: Henning Kaiser/dpa

Aus Köln Anett Selle
und Christian Wertschulte

Es sieht aus, als hätten die Hambacher Forst-AktivistInnen erst einmal gewonnen: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am Freitag vorerst die Rodung des Waldes verboten. Daraufhin erklärte der Energiekonzern RWE, dass er von einem Rodungsstopp bis Ende 2020 ausgehe. Es sei damit zu rechnen, dass „möglicherweise erst Ende 2020“ eine bestandskräftige Gerichtsentscheidung vorliegen werde und RWE die Rodung erst anschließend wieder aufnehmen dürfe, teilte das Unternehmen mit, das in dem Gebiet Braunkohle abbauen will.

Der Bund für Natur- und Umweltschutz BUND hatte ­gegen die Rodung des Hambacher Forstes geklagt RWE darf nun keine Bäume fällen, bis die Klage entschieden ist. Aus Sicht des Konzerns geht es um viel Geld und auch Macht: Wer hat das Sagen? Den finanziellen Schaden für das Unternehmen aus einem kurzfristigen Verzicht auf die Rodung des Waldes bezifferte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz Ende September im ZDF mit 4 bis 5 Milliarden Euro.

Ihre Entscheidung für den vorläufigen Rodungsstopp begründen die Richter und Richterinnen wie folgt: Zwar sei der Hambacher Forst bisher nicht als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) gemeldet worden. Es müsse aber geklärt werden, ob er wegen des Lebensraumtyps oder seltener Arten wie der Bechsteinfledermaus und des großen Mausohrs unter dem Schutz für „potentielle FFH-Gebiete“ stehe. Zudem hätten weder RWE noch die Bezirksregierung Arnsberg bislang belegt, dass ohne die sofortige Rodung die Energieversorgung gefährdet sei.

Die Freude bei den AktivistInnen ist groß. „Es ist unfassbar“, sagte Michael Zobel, der Waldpädagoge, der seit Jahren die sonntäglichen Waldspaziergänge im Hambacher Forst organisiert. Über den BUND habe er von der eventuell bevorstehenden Entscheidung erfahren. „Letzte Nacht habe ich ganz viele Kerzen angezündet, aber nicht daran geglaubt.“

Auch Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND Nordrhein-Westfalen, freut sich über den Eilbeschluss: „Der Tenor des Gerichtes ist eindeutig. Wir hoffen, dass es nicht bei der vorläufigen Entscheidung bleibt, sondern sie durch nachfolgende Urteile gefestigt wird.“ Die aktuelle Rodungssaison jedenfalls hat sich für RWE erledigt, sagt Jansen. „Ende April haben wir Klage eingereicht: Jetzt haben wir Oktober, und der Eilbeschluss ist erfolgt. Bis zum Ende der Rodungsperiode am 28. Februar 2019 wird es wohl keine weitere Entscheidung ­geben.“

Und ein weiterer Erfolg: Am Donnerstag hatte die Polizei Aachen eine für Samstag angekündigte Großdemonstration mit bis zu 50.000 erwarteten TeilnehmerInnen untersagt. Am Freitagnachmittag hat das Verwaltungsgericht Aachen die Demonstration aber genehmigt. Damit setzte sie sich über die Einschätzung der Polizei Aachen hinweg, die die Versammlung wegen „erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ zuvor verboten hatte. Die Demonstration wird auf einem Autobahnteilstück stattfinden, das von Leitplanken und Lärmschutzwällen begrenzt wird.

Die Stadt Kerpen als zuständige Kommune hatte Bedenken geäußert: Es sei schwierig für Feuerwehr und Rettungskräfte, die Demo zu erreichen, außerdem sei der nächstgelegene Bahnhof in dem kleinen Ort Buir zu klein, um eine unproblematische Anreise zu gewährleisten. Das Verwaltungsgericht teilte die Einschätzung nicht.

Demoanmelder Uwe Hiksch von den Naturfreunden Deutschland hielt die Bedenken auch für vorgeschoben: Die Veranstalter haben Shuttle-Busse aus dem benachbarten Horrem gechartert, außerdem könnten problemlos 12.000 Menschen mit dem Zug über Buir anreisen. Der zuständige Verkehrsverbund VRS hat bereits erklärt, zusätzliche Züge einzusetzen.

Das späte Urteil setzt die Organisatoren jedoch unter Zeitdruck. Vermutlich wird sich wegen der Verzögerung der Start der Kundgebung auf 12 Uhr verschieben. Neben Politikern und Umweltverbänden sollen dort auch sechs Bands, darunter die Deutsch-Pop-Band Revolverheld spielen. Uwe Hiksch verspricht: „Das wird ein Happening werden.“

Zu verhindern wäre die Demonstration ohnehin nicht nehr gewesen. Sowohl Veranstalter als auch die Polizei Aachen gingen am Freitag davon aus, dass sich Tausende auf den Weg in Richtung Hambacher Wald machen würden – egal, ob die Demo erlaubt worden wäre oder nicht.

„Es ist unfassbar“

Michael Zobel, der Waldpädagoge, der seit Jahren die sonntäglichen Waldspaziergänge im Hambacher Forst organisiert

Waldpädagoge Zobel freut sich: „Am Wochenende werden wir ein Riesenfest feiern, so oder so. Der Waldspaziergang am Sonntag stand nie in Frage.“

Doch bei aller Freude: Die Entscheidung des OVG Aachen sei kein Triumph, sagt Zobel. Er verweist auf den zurückliegenden wochenlangen Großeinsatz im Hambacher Forst, mit Tausenden PolizistInnen und Kosten in schätzungsweise zweistelliger Millionenhöhe. Die offizielle Rechtsgrundlage für den Erlass des NRW-Bauministeriums (CDU) lautete, die Baumhäuser müssten geräumt werden, weil sie bauliche Brandschutzbestimmungen nicht erfüllten: Das gefährde die BewohnerInnen. Umweltverbände und AktivistInnen sahen es immer als Vorwand der Landesregierung, um rodungsvorbereitende Maßnahmen durchzuführen. Schneisen hat man geschlagen, wohl eine vierstellige Anzahl Bäume gefällt, Straßen im Wald angelegt.

„Wir werden auch trauern“, sagt Zobel. „Die gerichtliche Entscheidung stellt die Schäden in Frage, die man in den letzten Wochen im Wald angerichtet hat. Und ich hoffe, dass der Eilbeschluss dazu führt, dass sich die Verantwortlichen jetzt endlich rechtfertigen müssen. Ein Mensch ist gestorben durch diesen Wahnsinn.“

Jansen vom BUND kritisiert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und Staatssekretär Jürgen Mathies (CDU). „Sie wollten den ‚starken Staat‘ demonstrieren. Mich wundert, dass die FDP das mitträgt.“ Von seiner Idee von Liberalismus sei das, was hier in den letzten Wochen geschehen sei, weit entfernt.

Eine weitere offene Frage nach dem Eilbeschluss ist die durch RWE in den letzten Tagen vorgenommene Einfriedung eines Teils des Waldes. Ein Sprecher der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg sagt der taz: Der Beschluss des OVG beinhalte „nur“ ein Aussetzen der Rodungsarbeiten. „Alle anderen bergbaulichen Tätigkeiten sind weiterhin statthaft.“ Jansen vom BUND bezeichnet das als „lächerlich“: „Einen Wald mit Seilen, Zäunen und Gräben absperren und Hunderte Fledermausquartiere zukleben – das sind keine bergbaulichen Maßnahmen. Nach dem Eilbeschluss sind die Behörden gefordert, RWE anzuweisen, diese rechtswidrigen Handlungen sofort rückgängig zu machen.“