Die vergessenen Revolutionäre

Im November 1918 verjagt das revolutionäre Berlin den Kaiser. Mitten drin im Geschehen: die Matrosen der Volksmarinedivision. Doch in Berlin erinnert an sie fast nichts mehr

Ausdruck einer neuen Zeit: Revolutionäre mit Säbel und Panzerwagen im Hof des Schlosses, Ende 1918 Foto: Otto Haeckel/DHM

Von Uwe Rada

Das Schicksal von tragischen Helden muss man vom Ende her erzählen. Am 11. März 1919 erscheint in einer Berliner Tageszeitung eine Annonce. Adressiert ist sie an die letzten Reste der einst stolzen Volksmarinedivision, die auf ihren Sold warten. Der würde, so hieß es in der Annonce, in der Zahlstelle der Division in der Französischen Straße 32 ausgezahlt. Eine Falle, wie sich bald ­herausstellt. Statt dem Sold wartet auf die 250 revolutionären Matrosen, die sich in der Französischen Straße einfinden, ein Erschießungskommando. Willkürlich werden 29 Matrosen hingerichtet. Die Verantwortlichen für das Massaker, Angehörige der Freikorps, werden später freigesprochen. So endet im März 1919 nicht nur die Novemberrevolution, sondern auch die Geschichte der revolutionären Matrosen, die im November 1918 begonnen hatte.

Berlin feiert ab diesem Herbst den „Revolutionswinter 1918/1919“. Doch die Volksmarinedivision, eine Einheit, zu der auch Matrosen aus Berlin gehörten, kommt in der Erinnerung daran nur am Rande vor. Weder gibt es eine Gedenktafel an der Französischen Straße 32, in der sich heute die Berliner Repräsentanz der Robert Bosch-Stiftung befindet, noch am Neuen Marstall, in dem die Volksmarinedivision am 11. November 1918 gegründet wurde. Einzig am Marinehaus am Märkischen Ufer erinnert eine Tafel: „Hier befand sich von Januar bis März 1919 der Sitz der Volksmarinedivision, der bewaffneten Formation der revolutionären Arbeiter und Soldaten in der Novemberrevolution. In den schweren Kämpfen gegen die Konterrevolution stand sie fest an der Seite des Berliner Proletariats.“

In der DDR war der Volksmarinedivision die Aufmerksamkeit gewiss. Gefeiert wurde sie etwa in Günter Jordans Defa-Film von 1978 „Matrosen in Berlin“. Nach ihrem ersten Kommandanten Paul Wieczorek wurde ein Raketenboot der DDR-Volksmarine benannt.

Die Ideale der Revolution

In der Bundesrepublik dagegen galten die revolutionären Matrosen als „Spartakisten“, die eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild einführen wollten. Tatsächlich aber erkannte die Volksmarinedivision die sozialdemokratische Regierung an, ohne dabei die Ideale der Revolution verraten zu wollen.

Paul Wieczorek hatte während des Krieges auf einem Minensuchboot gedient. Später meldete er sich freiwillig als Marineflieger und war auf dem Flugplatz in Johannisthal stationiert. Die Landfliegerabteilung im Berliner Vorort war einer jener Verbände, aus denen sich die Volksmarinedivision rekrutierte. Weitere Mitglieder bildeten die Kieler Matrosen, die mit ihrer Befehlsverweigerung den Startschuss für die Novemberrevolution gegeben hatten. Die dritte Gruppe stammte aus Cuxhaven: Sie wurde nach Berlin beordert, um die Institutionen der Revolution – unter anderem das Schloss und das Preußische Abgeordnetenhaus – vor Angriffen regierungsfeindlicher Truppen zu schützen. Die später als Spartakisten bekämpfte Truppe war also eine Art Revolutionsgarde, die von der SPD zum Objektschutz eingesetzt wurde.

Dies änderte sich, als ab 16. Dezember 1918 im Abgeordnetenhaus der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte tagte. Mit großer Mehrheit wurde einer Räterepublik eine Absage erteilt. Vielmehr sollte Deutschland eine parlamentarische Demokratie werden. Die Volksmarinedivision wurde nun nicht mehr gebraucht.

Stattdessen begann Gustav Noske, der sozialdemokratische Volksbeauftragte für Heer und Marine und spätere Reichswehrminister, mit dem Aufbau von Freikorpstruppen. Zum ersten Showdown kam es während der Weihnachtskämpfe am 24. Dezember 1918. Weil die Matrosen ihren Sold nicht bekamen, besetzten sie den Sitz des Stadtkommandanten Otto Wels. Der ließ schießen, zwei Matrosen starben. Eine Abordnung der Volksmarinedivision nahm Wels fest und überführte ihn als Gefangenen ins Stadtschloss, wo die Matrosen zunächst ihr Hauptquartier hatten.

Regierungschef Friedrich Ebert forderte daraufhin Gardetruppen an, die auf Schloss und Marstall vorrückten. Die Matrosen wiederum mobilisierten in der ganzen Stadt, sodass auf dem Schlossplatz schließlich auch Arbeiter Barrikaden errichteten. Aus den Kämpfen gingen die Matrosen als Sieger hervor: 11 von ihnen starben, die Regierungstruppen hatten indes 56 Opfer zu beklagen.

Es war, wie sich am Ende herausstellen sollte, ein Pyrrhussieg. Als am 3. März 1919 der Generalstreik ausgerufen wurde, wurden sowohl die Volksmarinedivision als auch Freikorpstruppen zum Alexanderplatz gerufen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wenige Tage später nahmen die Noske-Truppen blutige Rache für die Niederlage an Weihnachten. Insgesamt starben bei den Märzkämpfen 1.200 Menschen.

Mit dem Massaker vom 11. März gab es keine revolutionären Matrosen mehr. Die Revolution hatte ihre Kinder hingerichtet. Zeit, an sie zu erinnern.

Auf den Spuren der ­Volksmarinedivision 44, 45