Kritik und Selbstkritik in der Koalition

Die Maaßen-Krise ist vorbei – die Deutungsschlacht nicht. Regierungschefin Angela Merkel probiert aus, wie Selbstkritik geht, und versucht sich ansonsten rauszuhalten. CSU-Chef Horst Seehofer feuert Raketen auf die SPD. Die kontert: „Bei Seehofer ist Wahrheit eine Frage der Uhrzeit.“ Das bedeutet: Er lügt

Angela Merkel (r.) spricht mit SPD-Chefin Andrea Nahles. Links lauscht Carsten Schneider Foto: dpa

Von Stefan Reinecke
und Andreas Wyputta

Selbstkritik ist ein Störgeräusch in der Inszenierung der Macht. Wer einmal geirrt hat, der wird ja auch wieder irren. Angela Merkel liegt öffentliche Selbstkritik insofern wenig. „Das Ergebnis von letztem Dienstag konnte nicht überzeugen“, sagt sie am Montag im Konrad-Adenauer-Haus noch vor Beginn der Gremiensitzung. Auch sie habe nicht verstanden, „was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von der Beförderung hören. Das bedaure ich sehr.“ Das ist, in verschraubtem Merkel-Deutsch formuliert, wohl so etwas wie Selbstkritik.

Die ist offenbar nötig. Nicht nur in der SPD, auch an der CDU-Basis hatte die Beförderung von Hans-Georg Maaßen für Verwirrung gesorgt. Carsten Linnemann, Unionsfraktionsvize und eher bedächtig, war am Sonntagabend in der ZDF Sendung „Berlin direkt“ in Rage geraten. Der Beschluss von Merkel, Seehofer und Nahles sei Wahlhilfe für die AfD. Politiker, so Linnemann, müssten jetzt Fehler zugeben.

Merkel versucht mit ihrer knappen Erklärung, das Kapitel Maaßen zu beenden. Am Dienstag wählt die Fraktion einen Vorsitzenden. Merkels Vertrauter Volker Kauder hat erstmals einen Gegenkandidaten: Ralph Brinkhaus, wie Linnemann aus dem Landesverband NRW. Politisch sind sich Kauder und Brinkhaus ähnlich. Aber Kauder ist Merkels Mann. Ein Sieg des Außenseiters würde die Kanzlerin noch angreifbarer machen, als sie es nach der von ihr mies gemanagten Maaßen-Krise ohnehin ist. Merkels Statement soll Kritiker besänftigen.

CSU-Chef Horst Seehofer sieht keinerlei Grund zur Selbstkritik. Dafür feuert er nach dem Waffenstillstand noch eine Rakete ins SPD-Lager ab. Den nun allseits begrüßten Kompromiss habe er schon Dienstag vorgeschlagen; doch da habe Nahles leider abgelehnt. Will sagen: Die CSU hat sich auf ganzer Linie durchgesetzt, während die SPD-Chefin am Dienstag zu beschränkt war, Seehofers weitblickendes Angebot anzunehmen. Merkel, die dabei war und es wissen muss, sagt am Montag: „Das neue Ergebnis baut auf dem Dienstag auf.“ Das beleidigt niemanden und meidet jede Klärung.

Die Reaktion der SPD auf Seehofers Attacke wirkt etwas verhuscht. Vizekanzler Olaf Scholz windet sich im ZDF-Interview um klare Aussagen und befindet, man solle die Frage, ob Seehofer gelogen hat, „jetzt mal auf sich beruhen lassen“. Hat Nahles am Dienstag ohne Not das bessere Angebot ausgeschlagen und das gefährlichere gewählt? Das wäre mehr als mies verhandelt.

Der Druck in der SPD, den Kurs zu wechseln, kam letzte Woche vor allem aus dem Landesverband NRW. Maaßens Beförderung durch Seehofer sei der „Versuch der Demütigung unserer Partei“, hieß es in einer Erklärung, die die halbe SPD-Landtagsfraktion unterschrieben hatte. In Bochum trommelten Ortsvereine für einen Sonderparteitag, der den Gang in die Opposition beschließen sollte. Frederick Cordes, Juso-Chef in NRW und ein entschiedener Groko-Gegner, gibt sich mittlerweile versöhnlich: „Wenn von Anfang an die jetzt vorgelegte Lösung präsentiert worden wäre“, so Cordes zur taz, „hätte es nicht diesen Aufschrei, diesen Widerstand gegeben. Insofern kann man damit leben.“

„Das neue Ergebnis baut auf dem von Dienstag auf“

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Doch Seehofer nährt den Verdacht, dass Nahles nicht tapfer, wie es die SPD nun sieht, eine Fehlentscheidung korrigiert hat, sondern vielmehr die Krise selbst verursacht hat. Das ist schleichendes Gift.

Die SPD tritt am Montag deutlicher auf. Generalsekretär Lars Klingbeil bescheinigt Seehofer „Erinnerungslücken, was das Gespräch am Dienstag anbelangt“. SPD-Vizechef Ralf Stegner sagt im taz Interview, Seehofers Version sei „völliger Unfug“. Den Vorschlag, Maaßen zum Abteilungsleiter im Innenministerium zu machen, hätte vielmehr Nahles unterbreitet – Merkel und Seehofer hätten ihn abgelehnt. „Bei Seehofer ist Wahrheit eine Frage der Uhrzeit“, so Stegner. Kurzum: Er lügt.

Ende der Krise? Alles auf Anfang? Am Tag eins nach der knapp überstandenen Regierungskrise ist jedenfalls noch ziemlich viel Ärger unterwegs. Merkel will angesichts des desolaten Zustands der Regierung nun einen regelmäßigen Koalitionsausschuss einrichten. Erster Termin ist der 1. Oktober.