Hoffenheim in der Champions League: Demütige Debütanten

Das Remis im ersten Champions-League-Duell bei Schachtjor Donezk bewerten die Hoffenheimer als Erfolg. Andere Sichtweisen sind unzulässig.

Julian Nagelsmann

Mit einem Punkt zufrieden: Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann Foto: dpa

CHARKIW taz | Gerührt stand der Håvard Nordtveit Mittwochnacht in den Katakomben des Metalist Stadions in Charkiw, wo der ukrainische Meister Schachtjor Donezk wegen des Kriegs im Donbass seine Heimspiele austrägt. Bei der Premiere der TSG Hoffenheim in der Champions-League-Gruppenphase tief im Osten der Ukraine spielte der Norweger beim 2:2 eine Hauptrolle.

Zunächst war der Verteidiger im eigenen Strafraum ausgerutscht und hatte Donezks Ismaily den Weg für den 1:1-­Ausgleich frei gemacht (27.). Aber noch vor der Pause gelang Nordt­veit nach einer Ecke von Andrej Kramarić per Kopf die erneute Führung für die TSG – sein erstes Tor für die Blau-Weißen nach seinem Wechsel im Sommer 2017 von West Ham United.

Der 28-jährige Nationalspieler ist in den letzten 16 Monaten bei der TSG oft den Erwartungen nicht gerecht geworden. Mittwochnacht aber war Nordt­veit glücklich wie noch nie nach einem Spiel für Hoffenheim. Am Tag vor der Partie hatte er mit seinen beiden Kindern via Facetime gesprochen, erzählte der Profi, und sein Sohn habe ihn da eindringlich gebeten, er solle doch endlich ein Tor schießen, er sei doch ein so großer Mann. Dass es dann geklappt hatte, setzte bei dem 1,88 Meter großen Profi große Emotionen frei.

„Ich bin noch nie so hoch gesprungen, es war kalt da oben“, scherzte Nordt­veit. Und trotz des vermeidbaren Ausgleichs des eingewechselten Maycon zum 2:2 (81.), zog er nicht nur wegen seines Tores ein rundum gelungenes Fazit der ersten Hoffenheimer Dienstreise in Europas Spitzenklasse: „Ein Punkt ist ein sehr guter Anfang in der Champions League.“

Das sahen alle Hoffenheimer so, auch die 150 Fans, die die Reise mitgemacht hatten. Das kleine Häuflein feierte nach dem Abpfiff die Spieler wie nach einem Sieg. Einer Interpretation, nach der die TSG gegen lange biedere Gastgeber eher einen Sieg verspielt als einen Punkt gewonnen hatte, wollte sich niemand anschließen. Auch nicht Trainer Julian Nagelsmann. Seit Mittwoch steht der 31 Jahre junge Mann in den Geschichtsbüchern der Cham­pions League als jüngster Trainer, der je eine Mannschaft in diesem Wettbewerb gecoacht hat.

Nächstes Spiel gegen den BVB

Einen „schönen Nebeneffekt“ nannte Nagelsmann das. Zur Feier des „historischen Moments“ war er in ähnlicher Aufmachung wie Englands Nationaltrainer Gareth Southgate bei der WM im Sommer aufgelaufen: Neben sportlichen Schuhen und blauen Anzugshosen trug er ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte unter einer ärmellosen schwarzen Weste. Nach dem 1:1 der Ukrainer – der überragende Florian Grillitsch hatte die TSG in Führung gebracht (6.) – krempelte Nagelsmann die Hemdsärmel hoch und signalisierte so seiner Elf, wach zu bleiben.

Doch den möglichen Punch nach der erneuten Führung setzten seine Spieler nicht, stattdessen schien ihnen in einer chao­tischen Schlussphase das lange klar dominierte Spiel vollends zu entgleiten. „Am Ende hat uns ein bisschen die Luft gefehlt“, konstatierte Nagelsmann, der aber grundsätzlich das Positive herausstrich. „Wir können erhobenen Hauptes nach Hause fahren als Champions-League-Neuling.“

Alexander Rosen, TSG-Manager

„Man hat nicht gemerkt, dass wir zum ersten Mal dabei waren“

Die Milde in der Bewertung ist nachvollziehbar, auch gegen Donezk fehlten viele potenzielle Stammspieler und nach der Pleite zuletzt in der Liga in Düsseldorf startete die TSG das Champions-League-Abenteuer mit einem unsicheren Gefühl. Doch in Donezk spielte die Mannschaft 75 Minuten stark. TSG-Manager Alexander Rosen stellte stolz fest: „Man hat nicht gemerkt, dass wir zum ersten Mal in der Champions League dabei waren – ja, wir gehören dazu.“

Das ist eine wichtige Erkenntnis. Die Hoffenheimer haben sich vorgenommen, diese Saison in Europa besser abzuschneiden als in der vergangenen, als sie sich nach der Vorrunde aus der Europa League verabschiedet hatten. Das scheint möglich, auch weil Manager Rosen „viel Qualität“ in den nächsten Wochen vom Verletztenlager auf den Rasen zurückkehren sieht. Doch der Belastungsstress beginnt gerade. Am Samstag geht es gleich weiter mit dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund – dem zweiten von sieben Spielen in 22 Tagen.

Und Schachtjor Donezk, das im Sommer in Fred (Manchester United), Bernard (Everton) und Ferreyra (Benfica) seine besten Spieler verlor, hat nicht mehr die Qualität früherer Jahre und wirkt schwächer im Vergleich zu den kommenden Gegnern Manchester City und Olympique Lyon. Vielleicht werden sich die Hoffenheimer am Ende doch noch über den verpassten Sieg zum Auftakt ihres bislang größten Abenteuers ärgern.

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