Zeuge spricht von Mord

Tote Kadettin: Ermittler wollen sich äußern

Die Kieler Staatsanwaltschaft ist am Zug. Bei ihr liegt der Antrag auf die Wiederaufnahme des Verfahrens im Fall der 2008 verstorbenen Bundeswehr-Kadettin Jenny Böken. Das bestätigte Oberstaatsanwalt Axel Bieler der taz und kündigte an, man wolle sich „voraussichtlich Ende nächster Woche inhaltlich dazu äußern“.

Laut Rainer Dietz, Anwalt der Familie Böken, hatte die Ermittlungsbehörde noch bis Donnerstag behauptet, seinen Antrag gar nicht erhalten zu haben, den er bereits vergangenen Sonntag eingereicht hatte. Anlass dafür war das Auftreten eines neuen Zeugen, der in einer eidesstattlichen Aussage von Mord an der jungen Offiziersanwärterin spricht. Diese war bei einer Nachtwache auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ nördlich von Norderney über Bord gegangen – ein Unfall, sagte die Staatsanwaltschaft damals.

Der Zeuge, ehemaliger Bundeswehrsoldat, aber kein Besatzungsmitglied, hatte sich vor gut einer Woche bei der Familie Böken gemeldet, berichtet Dietz. Er sagt aus, dass er bei einer Party vor dem Ablegen der „Gorch Fock“ mit Böken Geschlechtsverkehr hatte – Uwe Böken, Vater der Toten, sprach gegenüber dem WDR sogar von einer Vergewaltigung. Diese Handlung sei gefilmt worden, so der Zeuge nach Angaben von Dietz weiter. Das Video war daraufhin an Bord des Schiffes kursiert, Jenny Böken hätte Anzeige erstatten wollen.

Nach Bökens Tod wurde der Zeuge in seiner Kaserne von drei Personen aufgesucht, referiert Dietz. Man habe ihm erzählt, dass er sich keine Sorgen mehr machen müsse, das Thema sei „erledigt“, Böken habe Suizid begangen. Eine andere Anspielung der Personen – „Vielleicht ist die ja erwürgt worden?“ – lasse den Zeugen den Vorwurf der Erdrosselung erheben, sagt Dietz weiter. Dies würde zu einer der vielen Ungereimtheiten passen: Böken hatte kein Wasser in der Lunge, als man sie elf Tage nach dem Unglück geborgen hatte.

Laut Anwalt muss mindestens an den Zeugen und eine weitere Person, die in der Aussage genannt wird, eine Vorladung erfolgen. Das heiße dann „nichts anderes, als dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden“. Dass die Staatsanwaltschaft sich schon in der kommenden Woche äußern will, hält er angesichts der so gewichtigen Entscheidung für überstürzt. „Man sollte sich das genau überlegen.“ Alina Götz