Kritisiere seine Wortwahl

Das Jugendtheater Strahl spielt „Das wird man doch mal sagen dürfen“, und das Publikum soll weiterhelfen in Sachen Diskriminierung und Wortwahl

Von Katrin Bettina Müller

Beim Verlassen des Theatersaals schnappe ich ein kurzes Resümee zweier junger Zuschauer auf. Er: „Das war toll.“ Sie: „Aber zu kurz.“ Er: „Ja, aber es endet mit einem Kuss.“

Premiere im Theater Strahl, die neunzig Minuten sind wirklich schnell vergangen. Das Publikum, das zur Hälfte aus Schülergruppen, zur Hälfte aus älteren Erwachsenen besteht, ist seiner Rollenzuweisung gefolgt und mit sich zufrieden. Das Theater Strahl setzt auf Interaktion. Ihr Stück mit dem nervös machenden Titel „Das wird man doch mal sagen dürfen“ dreht sich um ein Mädchen, Mila, und drei Jungen, Paul, Kappi und Hakan, die auf eine Schule gehen.

Es geht um eine Party, erste Flirts, einen Überfall auf Mila, rassistische Sprüche und ein ausländerfeindliches Zuhause. Die kurzen Dialoge hat Christian Giese geschrieben, die Inszenierung von Anna Vera Kelle bringt sie in knappen Szenen auf die sparsam eingerichtete Bühne im Schöneberger Jugendzentrum Weiße Rose. Aber schon nach wenigen Sätzen, kaum ist man angekommen im Erspüren der Konstellationen, springen die Schauspieler Lisa Brinckmann, Randolph Herbst, Florian Kroop und Max Radestock aus ihrer Rolle und befragen das Publikum. Würdet ihr jetzt an Milas Stelle Kappis Einladung zur Party annehmen? Was spricht dafür? Neugierde, sie könnte Paul treffen, Spaß haben, tanzen, kommen die Antworten schnell. Was spricht dagegen? Kappi sitzt das Urteil locker und er fällt einen diskriminierenden Spruch nach dem anderen, das haben auch alle mitbekommen.

Das Theater Strahl hat sich mit dem Thema des rechten Populismus länger befasst und sich mit Jugendlichen auf die Suche nach der Begegnung mit Rassismen im Alltag gemacht. Die Figuren, die das Stück entwirft, scheinen zuerst sehr eindeutig und leicht in ihren Positionen zu identifizieren. Kappi ist kaum auf der Bühne, da sagt er schon: „Die Polen. Die lassen sich nicht reinreden. Genau wie Ungarn. Wir sind ja die Einzigen in Europa, die sich überrennen lassen.“ Mehr als ein „Echt?“ fällt Mila da erst mal nicht mehr ein. Schließlich hört sie zu Hause von ihrem Onkel, der ihre finanzschwache Mutter unterstützt, Ähnliches. Peinlich ist ihr deshalb ihr Zuhause.

So eindeutig wie sich Hakan, auch ein Deutscher, gegen Kappi positioniert und ihn seinerseits als Fascho beschimpft, ist das für Mila nicht, zumal er sie vor zwei zudringlichen Jungen rettet, die sie am U-Bahnhof überfallen haben. Hakan ist auch nicht ohne Vorurteile, zum Beispiel hält er Frauen mangels Autorität für ungeeignet, Lehrerin zu sein. Er hält auch Mila für eine Nazibraut, was seinem Freund Paul, der sich in Mila verliebt, überhaupt nicht passt.

Nun ist das Publikum aufgefordert, den Personen Handlungsvorschläge zu machen, und manchmal kommt dabei raus: „Paul könnte erst mal ein Bier trinken gehen“, und der Darsteller von Paul muss dann daran erinnern: „Paul ist doch erst vierzehn.“ Das hat man fast aus dem Blick verloren, das hier von Kindern erzählt wird, eingebunden in viele emotionale Abhängigkeiten. Sie sind, mithilfe des Publikums, ständig auf der Suche nach einer Vernunft – „jetzt rede noch einmal mit Kappi, jetzt mach ihm klar, dass dieser Sprachgebrauch diskriminierend ist, kritisiere seine Wortwahl“ –, die ganz schön fordernd und anstrengend ist und auch von keinem der auftretenden Erwachsenen vorgelebt wird.

Das interaktive Theater ist in diesem Fall schon ein sehr pädagogisches Instrument. Das Publikum des Premierenabends spielte gut erzogen mit. Besonders kreativ war es nicht. Letztendlich wurde man mit der eigenen Hilflosigkeit konfrontiert.

Nächste Aufführungen: 18. 9., 11 und 19.30 Uhr; 20. 9., 11 Uhr; 21. 9., 10 Uhr. In der Weißen Rose, Martin-Luther-Str. 77