Seiteneinsteiger ins Lehramt: Masse statt Klasse

In Bremen sollen Seiteneinsteiger den Lehrermangel ausgleichen. Nur: Auch gutes Fachwissen ersetzt keine didaktischen Kenntnisse.

Boris Becker steht vor einer Schultafel mit der Aufschrift "Boris macht Schule".

Brauchste Kohle, wirste eben mal Lehrer. Kann schließlich jeder Foto: dpa

BREMEN taz | Wer glaubt, Fachkräftemangel ließe sich am ehesten durch die Anwerbung von Fachkräften beheben, war noch nie in einer Bildungsbehörde. Dort glaubt man nämlich, der allgegenwärtige Fachkräftemangel an Schulen ließe sich durch die Anwerbung von irgendwem beheben.

In Bremen gibt es zur Zeit drei Wege, als Seiteneinsteiger in den Schuldienst zu gelangen: Hochschulabsolventen können entweder ein vollwertiges Referendariat absolvieren und sich so pädagogisch nachqualifizieren. Sie können aber auch berufsbegleitend einsteigen: Das bedeutet, sie haben mehr Unterrichtsstunden als Referendare und nur wenige Fortbildungsstunden am Landesinstitut für Schule.

In Planung ist außerdem ein berufsbegleitender Einstieg, der fachlich mit Kursen an der Uni ergänzt wird. Wer das überlebt und am Ende durchkommt, kann eine Prüfung ablegen, die dem Staatsexamen gleichgestellt ist.

Und dann gibt es noch eine Variante, aus dem Nichts Fachkräfte zu generieren: Das sind Lehramtsstudierende, die über die Stadtteilschule beschäftigt und in den jeweiligen Schulen eigenverantwortlich eingesetzt werden. Im Ideal­fall haben diese Studierenden schon mal ein Praktikum und ein paar Didaktikkurse an der Uni besucht.

Christian Gloede, Landesvorsitzender der GEW

„Man muss diese fürchterliche Zeit überbrücken“

„Die Schulen und die Bildungssenatorin sind auf die Studierenden angewiesen, um die Ausfallquoten gering zu halten“, sagt Burkhard Sachse, Lehrer und an der Uni Bremen lange Jahre zuständig für die Fachdidaktik-Ausbildung am Institut für Geschichte. Er selbst ist nach seiner Pensionierung noch einmal für zwei Jahre in den Schuldienst zurückgekehrt.

Den Einsatz von Studierenden als vollwertige Lehrkräfte hält er für „fatal“: „Natürlich ist Praxiserfahrung durch nichts zu ersetzen, deswegen gehen auch viele Studierende hochmotiviert und begeistert an die Schulen.“ Doch das, was dann passiert, ist weder für die Studierenden noch für die SchülerInnen hilfreich: „Die Studierenden tun dann oft das, was Lehrer gerne tun, die in Not sind: Sie nehmen didaktische Halbfertigware, das Lehrerhandbuch zum Schulbuch und Kopiervorlagen, die die SchülerInnen dann bearbeiten sollen.“

Das aber habe mit Didaktik überhaupt nichts zu tun. „Man muss verstehen, was Didaktik überhaupt ist“, sagt Sachse – nämlich „zum Wesen einer Problemlage einen Lernprozess zu aktivieren, der bei den SchülerInnen auch Spuren hinterlässt.“

Allein vor der Klasse

Das sei keine Schuldzuweisung, aber das Fehlen didaktischer Ausbildung führe dazu, dass die Lernergebnisse in Bremen „nicht besser, sondern schlechter werden“. Zum Vergleich: „Wenn Sie mal überlegen, durch was für eine Mühle die Referendare, die immerhin alle Kurse und Prüfungen schon absolviert haben, gehen: Bis an die Grenzen der Belastung, und nicht alle schaffen das.“ Die Rückmeldung von Mentoren und Seminargruppen sei dabei unverzichtbar.

Seiteneinsteiger, wie auch die Studierenden, stehen hingegen allein vor der Klasse, von Anfang an. „Das ist ein großes Problem“, sagt auch Christian Gloede von der GEW. Der Erfolg hänge dabei „ganz stark“ von der jeweiligen Schule ab: „Wie stark sind KollegInnen bereit, als Senior Partner zur Verfügung zu stehen?“ Vieles passiere auf dem Rücken der KollegInnen, die den Seiteneinsteigern mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Das kann aber kein Privatengagement sein“, sagt Gloe­de und fordert für die betroffenen KollegInnen zumindest eine Stundenentlastung.

Gespräche über Qualifizierungsmaßnahmen

Das grundsätzliche Problem jedoch bleibt davon unberührt: Wie macht man aus Fachleuten qualifizierte LehrerInnen? Das Motto im Moment: Augen zu und durch. „Man muss diese fürchterliche Zeit überbrücken“, sagt Gloede. Das LIS bietet für Seiteneinsteiger und Studierende begleitende Kurse zur Fortbildung an. „Das ist aber noch nicht ausreichend, was da angeboten wird“, sagt Gloede. Gespräche über weitere Angebote und die Ausgestaltung der Qualifizierungsmaßnahmen laufen derzeit.

Der Didaktiker Sachse sagt: „Da wird herumdilettiert.“ Dass Studierende eigenverantwortlich unterrichten, anstatt erst mal ihre Ausbildung an der Uni zu beenden, um dann wiederum parallel Qualifizierungskurse beim LIS zu absolvieren, hält Sachse für eine „doppelte Pervertierung, weil diese Praxis damit auch noch legitimiert wird“.

Unaufgeregte Eltern

Beim ZentralElternverband sieht man die Praxis des Seiteneinstiegs nicht so dramatisch: „Unser Ziel an erster Stelle ist die Versorgung der Klassen mit Personal und an zweiter die parallele Weiterqualifizierung dieses Personals, sodass wir am Ende vollwertige Lehrkräfte in den Klassen stehen haben“, sagt Pierre Hansen vom ZEB.

Zum Einen seien es gar nicht so viele Seiteneinsteiger, als dass sich das bemerkbar machen würde, und einen Qualitätsunterschied nehmen die Kinder nach Auffassung des ZEB auch nicht wahr: „Die meisten Schüler*innen haben aber auch nicht bemerkt, dass sie in den letzten zwei Jahren von Studierenden beschult wurden.“

Tatsächlich scheinen Proteste von Eltern gegen diese Praxis nicht besonders laut. „Schüler können von einem fachlich dilettierenden, aber persönlich engagierten Lehrer begeistert sein“, sagt Sachse. Die Bildungsdefizite fallen erst später auf.

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