Der mit den Geistern spricht

Die neuen Lieder sind ja auch nicht schlecht. Ariel Pink beim Konzert im Festsaal Kreuzberg

Von Jan Jekal

Der Versuch einer Beschreibung von Ariel Pinks Klangästhetik: Als würde man in einem rosafarbenen Wagen nachts auf dem Friedhof stehen und das Autoradio kriegt nur drei Sender. Der eine Sender spielt Kinderlieder, der nächste spielt abseitigen New Wave, und der dritte spielt Achtziger-Jahre-Metal, und ständig springt das Radio zwischen den Sendern hin und her. Von allen dreien empfängt es zudem nur ein schwaches Signal, sodass man die Lieder häufig nur unter einer Menge Störgeräusche erahnen kann und sie gar nicht mehr wie Lieder daherkommen, sondern wie geisterhafte Botschaften, als entstammten die Frequenzen nicht dem Radio, sondern den Gräbern um einen herum – so klingt Ariel Pinks Musik.

Als der 40-jährige Angeleno seine Lieder am Montagabend im Festsaal Kreuzberg mit einer fünfköpfigen Band auf die Bühne bringt – im Rahmen seiner Tour zu dem letztes Jahr erschienenen Album „Dedicated to Bobby Jameson“ –, klingen sie viel tatsächlicher als auf den Alben. Während sie dort entsättigt sind, aller Tiefen entledigt, verwandeln sie sich live in richtige, physisch erfahrbare Rocksongs, sind nicht länger nur die bloßen Abbilder derselben.

Damit die geisterhafte Qualität nicht verloren geht, lässt Pink in Endlosschleife verschwommene VHS-Aufnahmen hinter sich projizieren, von Schönheitsköniginnen, von übergewichtigen Frauen beim Bauchtanz, von Männern in Ganzkörperanzügen, mit flimmernden Farbverschiebungen und sich quer über das Bild bewegenden Störstreifen, die die Aufnahmen als historische Dokumente markieren. Die Dargestellten sind also Geister der Vergangenheit, in ständiger Gegenwart gefangen, weder wirklich hier noch wirklich dort. Pinks Stimme bleibt ähnlich körperlos, er singt nur durch Effektgeräte verfremdet; selbst wenn er sich, selten genug, an das Publikum richtet, hallt seine Stimme wie die eines Jenseitigen.

Unter den Hunderten von Liedern, die Pink in fast zwei Jahrzehnten veröffentlicht hat, sind eine Menge fantastischer Popsongs, die er an diesem Abend alle nicht spielt. Er spielt lieber Lieder vom neuen Album. Die sind ja auch nicht schlecht. Aber halt vom neuen Album. Und die alten Lieder sind die mit Bedeutung aufgeladenen, die mit Erinnerungen behafteten, und das weiß Pink natürlich, die Sinn­stiftung des Nostalgischen ist ja ein wesentliches Motiv seines Œuvres. Er verzichtet dennoch auf Altes und spielt zum Beispiel „Bubblegum Dreams“, astreinen Nonsens-Pop, oder das romantische „Feels Like Heaven“, gegen das Robert Smith von The Cure bestimmt schon eine Unterlassungsklage eingereicht hat, oder das Uptempo-Stück „Dreamdate Narcissist“. Einen Hit spielt er dann doch noch: „Baby“, wo ihm während des Intros schnell eine Zigarette gereicht wird, denn es ist eines dieser Lieder, das man nur mit Zigarette in der Hand singen kann.

In einem schwarzen Bühnenanzug mit kurzen Ärmeln und weitem Ausschnitt bewegt sich Pink in gebückter Haltung über die Bühne. Zurzeit hat er braune Haare, mit langen Strähnen auf der rechten Seite, die er beim Headbangen durch die Luft schleudert. Das Mikrofon hält er wie ein Las-Vegas-Entertainer mit einiger Entfernung zu den Lippen. Wenn er die Augen öffnet, dann um auf sein Effektgerät zu schauen, mit dem er seinen Gesang moduliert.

Pink, kein starker Live-Sänger, überlässt wesentliche Parts einem Sidekick, einem albernen Hype-Man, der aussieht wie Slash von Guns N’Roses, und verliert im Laufe des Konzerts dennoch seine Stimme. Vom Hype-Man übereifrig angekündigt, kommt Pink nach dem Ende des regulären Sets noch einmal auf die Bühne, zeigt entschuldigend auf seinen Kehlkopf und verzichtet auf eine Zugabe.