„Es braucht eine Übersetzung“

Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) setzt auf Bürgerbeteiligung, weil sie das als „politischen Auftrag“ versteht. Ein Gespräch über Stadtgesellschaft und Partizipation, über Möglichkeiten und Kompromisse

Bürgerversammlung zur künftigen Nutzung des Flughafens Tempelhof: Katrin Lompscher (2. v. l.) und Angelika Schöttler, Bürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg (3. v. l.) Foto: Stefan Boness/Ipon

Interview Erik Peter und Bert Schulz

taz: Frau Lompscher, können Sie in einem Satz sagen, warum sich BerlinerInnen an der Debatte über den Wohnungsneubau beteiligen sollten?

Katrin Lompscher: Weil Berlin zusätzlichen Wohnraum braucht: Wer an den Veränderungen der wachsenden Stadt aktiv teilnimmt, kann mit ihnen auch besser umgehen.

Was muss man dafür können?

Man muss kein Studium abgeschlossen haben, aber man braucht ein empathisches Verhältnis zu Berlin und muss sich dafür interessieren, was passiert.

Reicht das wirklich? Menschen müssen ja auch arbeiten, Kinder erziehen und vieles mehr.

Es gibt auch das Recht, sich nicht zu beteiligen. Die Stadt muss aber dafür sorgen, dass sich alle beteiligen können, die das wollen, die ein spezielles Anliegen, Interesse oder Betroffenheit haben.

Beteiligen sich nicht vor allem Experten, die sich mit der komplexen Baupolitik auskennen?

Die Diskussionen und Themen sind so unterschiedlich, dass man das nicht verallgemeinern kann: Debatten gewinnen an Fahrt, wenn großer Veränderungsdruck besteht. Und natürlich auch, wenn es eine Unzufriedenheit mit den Instanzen – sprich mit der Politik – gibt, an die man das delegiert hat.

Bürgerbeteiligung ist kein neues Thema.

Es gibt tatsächlich eine lange Geschichte der Bürgerbeteiligung in Berlin. Mit der Hausbesetzerbewegung und der Internationalen Bauausstellung Mitte der 80er Jahre in Westberlin ist eine Beteiligungskultur entstanden. Dabei haben die Menschen die Erfahrung gemacht, dass aktives Engagement letztlich für sie selbst etwas bringt. Zwischenzeitlich gab es eine relative Ruhe bei Beteiligungsprozessen an der Stadtpolitik. Wieder los ging es mit dem Bürgerbegehren Mediaspree versenken 2008. Und natürlich mit dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld 2014. Seitdem gibt es in einer breiten Öffentlichkeit wieder ein stärkeres Bedürfnis, bei Zukunftsentscheidungen einbezogen zu werden.

Ist es eine politische Notwendigkeit, die Bürger mit einzubeziehen?

Ich glaube, diese Frage stellt sich gar nicht. Wir haben eine gesellschaftspolitische Situation in dieser Stadt, die es der Koalition sinnvoll erschienen ließ, sich eine Partizipationsagenda zu geben. Das ist unser politischer Auftrag.

Macht Bürgerbeteiligung die Ergebnisse besser oder nur besser vermittelbar?

Das ist ganz unterschiedlich. Auf jeden Fall liegen alle Probleme eines Projekts danach deutlicher zutage. Beteiligung heißt: Ich lege alles auf den Tisch und gucke es mir von vielen Seiten an. Im besten Fall entsteht aus dieser sehr transparenten Verhandlung auch ein besserer Kompromiss.

Sie verlagern einen Teil der Verantwortlichkeit auf die Bürger, von denen viele damit gar nichts zu tun haben wollen.

Wenn man Beteiligung als Möglichkeit interpretiert, sich als Politiker vor einer Entscheidung zu drücken, wäre das falsch.

Das muss ja nichts mit drücken zu tun haben. Allein, dass Bürger in einem Bereich mitbestimmen können, in dem sie bislang nicht in dem Maße oder gar nicht mitgeredet haben, bedeutet ja, dass Politik einen Teil ihres Kernbereiches abgibt bzw. öffnet.

Das Wort öffnen gefällt mir besser als abgeben. Öffnen ist ein politischer Wille. Das heißt im Ergebnis aber immer noch, dass die Politik die getroffenen Entscheidungen voll verantwortet. Kein Politiker oder zuständiges Gremium kann sich bei einer Entscheidung hinter einer Interessengruppe X oder einem Bürger Y verstecken – und das ist auch gut so.

Mit dieser Argumentation könnte man auch sagen, die ganze Bürgerbeteiligung ist für das Ergebnis nicht wirklich relevant.

Ich finde das nicht. Wenn wir Partizipation forcieren, ermöglichen wir einem größeren Teil der Stadtgesellschaft, ihre Ideen einzubringen. Und natürlich verändert das die Ergebnisse.

Wird es dem Anspruch an Bürgerbeteiligung gerecht, wenn die Bürger vor allem kritisieren und Vorschläge ablehnen?

Ich mache da ganz unterschiedliche Erfahrungen. Das hängt etwa davon ab, wie weit ein Projekt schon konkret ist. Je konkreter, desto konstruktiver ist die Diskussion. Da geht es dann um Lösungen im Detail. Wenn man dagegen über Grundsatzfragen spricht, gibt es auch grundsätzlich verschiedene Auffassungen. Da muss dann das Abgeordnetenhaus oder der Senat entscheiden.

Beim geplanten neuen Stadtquartier Blankenburger Süden haben Sie auf einer Bürgerversammlung Modelle für den Neubau von 10.000 Wohnungen präsentiert. Eine Mehrheit der Bürger hat klar gesagt, so gehe das nicht. Ist das konstruktiv?

Das ist konstruktiv, weil es mich zwingt, darüber nachzudenken, was ich dort präsentiert habe. Habe ich deutlich machen können, was das Ziel war? Ich habe die Veranstaltung als kontrovers, aber nicht als destruktiv empfunden. Die Botschaft der Bürger war, dass sie die Planungen für Neubau auf der bestehenden Erholungsanlage nicht wollen. Grundsätzlich wird die Weiterentwicklung der Stadt im Nordosten nicht abgelehnt.

War das ein Denkzettel für Sie?

Die Verbesserung der Bürgerbeteiligung ist ein wesentliches Projekt der gesamten Koalition. Aber natürlich war das keine erfreuliche Erfahrung.

War eine Großveranstaltung die falsche Form?

Der Begriff Auftaktarena signalisiert ja schon, dass man am Anfang in einer großen Runde ist. Große Runden muss man bei großen Projekten auch machen. Wenn man später auf kleinere Räume fokussieren will, braucht es andere Formate.

In einer Antwort auf eine kleine Anfrage zum Blankenburger Süden schreibt Ihr Staatssekretär, dass „der Abstraktionsgrad der dargestellten Entwicklungsziele“ nur schwer in einer solchen Großveranstaltung verständlich dargestellt werden kann. Deutlicher kann man nicht kommunizieren, dass da viel schiefgegangen ist.

Damit hat er nicht gesagt, dass ein großes Format schlecht ist, sondern dass das, was wir dort sagen wollten, schwer vermittelbar war. Wir wussten, dass vor großen Neubauvorhaben bestehende Probleme gelöst werden müssen. Wir hätten klarer darstellen müssen: Wie viel Schulbedarf haben wir jetzt schon und wie viel ergibt sich aus einem möglichen Zuwachs der Einwohnerzahl? Wie lösen wir die jetzt schon bestehenden Verkehrsprobleme? Hätten wir die Kommunikation darauf beschränkt, wäre es möglicherweise leichter gewesen.

Sprechen Politik und Verwaltung die richtige Sprache, um den Bürgern zu vermitteln, worum es geht?

Es besteht immer die Gefahr, dass sich Fachleute in ihrer Art, zu kommunizieren, in einer Weise ausdrücken, die nicht so leicht verständlich ist. Man braucht immer eine Übersetzungsleistung.

Sie haben selbst die Linie von der Bürgerbeteiligung der Achtziger bis heute gezogen. Immer noch scheint es aber viel zu lernen zu geben.

Bürgerbeteiligung wird immer ein Lernprozess sein, weil jedes Projekt eine andere Art der Beteiligung erfordert. Man kann sich im Vorfeld über Leitlinien und Prinzipien verständigen, also Standards setzen, damit gute Beteiligung stattfindet, und dann muss man sie bei jedem Projekt neu definieren.

Sie haben das Stadtforum wiederbelebt. Was ist das und soll es leisten?

Katrin Lompscher

Jahrgang 1962, in Ostberlin geboren, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen.

Für uns ist das eine Form des Dialogs zwischen Politik, Öffentlichkeit und Experten. Das Stadtforum gab es schon vor mir. Wir haben entschieden, dass wir das Format der öffentlichen und fachöffentlichen Debatte in anderer Form durchführen: zu aktuellen Projekten, an verschiedenen Orten, aufgeteilt in einen Plenar- und einen Arbeitsgruppenteil. Beim bisher letzten Stadtforum Anfang April in Schöneweide zum Thema Wirtschaft konnten wir 400 Besucher begrüßen.

Beim Stadtforum im Juni vergangenen Jahres ging es um die Schaffung eines Gremiums, das Leitlinien für Bürgerbeteiligung erarbeiten soll. Wie ist da der Stand?

Wir haben dort aufgerufen, sich zu bewerben. Aus 300 Bewerbungen sind 12 Personen ausgewählt worden. Die bilden mit 12 anderen aus Politik und Verwaltung das Arbeitsgremium. Ihr gemeinsames Ziel ist es, Standards zu entwickeln, die zukünftig bei allen Projekten eingehalten werden müssen. Das Gremium hatte schon seine neunte Sitzung. Das Ziel ist, dass wir demnächst einen Entwurf der Leitlinien haben. Die wollen wir dann öffentlich diskutieren, auch auf einem weiteren Stadtforum Ende des Jahres. Danach kommt der Entwurf ins Abgeordnetenhaus. Ziel ist es, diese Dinge ab Anfang 2019 umzusetzen.

Was müssen die 12 ausgewählten Bürger können?

Können war keine Voraussetzung. Es gab eine Zufallsauswahl mit der Einschränkung, dass verschiedene Teile der Stadt, Altersgruppen, Herkünfte abgebildet werden sollten. Mitbringen müssen sie ein bisschen Zeit. Insgesamt sind zwölf Sitzungen geplant, dazu mehrere öffentliche Werkstätten, die vor- und nachbereitet werden müssen.

Was soll in den Leitlinien stehen?

Viele Städte haben so etwas schon, auch der Bezirk Mitte. Mich würde nicht wundern, wenn Elemente, die es anderswo schon gibt, auch hier vorgeschlagen werden. Etwa eine öffentlich einsehbare Vorhabenliste mit den entsprechenden Beteiligungsangeboten oder auch Vor-Ort-Büros bei großen Projekten.

In welchen Projekten ist Bürgerbeteiligung in der Vergangenheit gelungen?

Eine gute Erfahrung ist der Wandel des Selbstverständnisses des Quartiersmanagements. Da wurden peu à peu Beteiligungselemente nachgelegt. Es gibt Quartiersräte, Fonds, über die sie entscheiden, ein Baufonds, der auch nur mit ihrem Votum abgerufen werden kann. Ein gutes Projekt der Bürgerbeteiligung ist die seit 2014 existierende Stadtdebatte Berliner Mitte -– also für den großen Freiraum zwischen Alexanderplatz und Spree. Dort ist in vorbildlicher Weise eine Debatte etabliert worden.

War die riesige Mietenwahnsinn-Demo für Sie auch eine Form der Bürgerbeteiligung?

Zumindest eine Form der politischen Artikulation, die sehr beeindruckend war. Nicht nur die Dimension, auch die Vielfalt der Meinungsäußerungen. Eine Menge der dort beteiligten Initiativen sind sehr aktiv bei konkreten Vorhaben, sind also Akteure der Bürgerbeteiligung. Zu vielen von ihnen haben wir ­Kontakte. Alles was dort an Selbstermächtigung entsteht, ist Rückenwind und unterstützt unser Ziel einer sozialen und partizipativen Stadtentwicklung.

Sie werden vor allem daran gemessen, wie viel Neubau Sie zustande bringen. Jede Bürgerbeteiligung verlangsamt den Prozess. Ist es da nicht fahrlässig, erst mal alle mitzunehmen, statt schnelle Ergebnisse zu liefern?

Die Dinge passieren ja gleichzeitig. Es gibt eine Vielzahl von Bauprojekten, die ganz ohne öffentliches Rauschen verlaufen. Wo es aber um Nutzungskonflikte oder Grundsatzfragen geht, halte ich den partizipativen Weg immer für den richtigen. Die Alternative dazu ist die Blockade. Deshalb besteht aus meiner Sicht nicht die Möglichkeit, sich das auszusuchen. Davon abgesehen ist unser Problem beim Bauen nicht die Bürgerbeteiligung, sondern die Baukapazitäten, Ausschreibungen ohne Ergebnisse oder die Preisentwicklung.