berliner szenen
: Kannst du das leiser machen?

Im Untergrund, Linie 7 Richtung Rudow, am Nachmittag. Eine blonde Frau in einem gelb-roten Jumpsuit, der ihr etwas Erotisch-Kindliches verleiht, auf dem Sitz gegenüber. Auf dem Vierer jenseits des Gangs ein kleiner Junge, der Candy Crush auf seinem Handy spielt. Dabei futtert er Erdnussflips, die teuren aus der XXL-Tüte, die er zwischen die Beine geklemmt hat, während sein Computerspiel lustig laut herumdudelt in einer dieser schönen Billo-Elektronik-Melodien.

Das Spiel macht noch weitere Geräusche: Nicht wie bei Minecraft, wo ein „Mäh“ anzeigt, dass ein Schaf getötet wurde und man als Spieler wieder „Fleisch“, also Energie, hat, sondern ein permanent wiederkehrendes Kassenklingeln, vermutlich für gelungene Spielzüge. Die Frau, Mitte 30, mit modischer Goldrandbrille, späht mit einem halben Auge auf den Kleinen, während sie versucht, sich auf ihren Zeit-Artikel zu konzentrieren. Ich versuche herauszufinden, zu wem der Kleine eigentlich gehört. Ob er allein unterwegs ist? Warum auch nicht? Mit Erdnussflips und Handy bewaffnet, findet er sich bestimmt gut zurecht in der großen Stadt.

Die Frau blickt noch ein-, zweimal in Richtung des kleinen Daddlers, der nicht auf sie reagiert, und setzt dann ein unfassbar aufgesetztes Lächeln auf: „Na, kannst du das auch leiser machen? Danke schön.“ Ich bin beeindruckt von der Künstlichkeit, die ihr Ziel erreicht. Dass sie es schafft, nicht einen Hauch von Aggression in ihre Bitte zu legen. Und davon, dass der Kleine den Tonmodus abstellt und weiterspielt. Keine halbe Minute später fällt ihm die Erdnussflipstüte zu Boden. „Was machst du!“, sagt die Mutter, die im toten Winkel hinter uns sitzt. Sie redet mit ihrem Sohn auf Russisch weiter, ein Mann schiebt die heruntergefallenen Flips mit den Schuhen zur Seite. Die Blonde steigt aus.

René Hamann