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Im Prinzip gut – und in der Praxis auch

Unabhängig und nachhaltig: Genossenschaften sind nicht nur ein taz-Thema. Deshalb gibt es gute Gründe für den heutigen Internationalen Tag der Genossenschaften. Ein besonderes Jubiläum dieses Jahr: der 200. Geburtstag von F. W. Raiffeisen

Bis heute aktuell: Friedrich Wilhelm Heinrich Raiffeisen, am 30. März 1818 in Hamm geboren, war ein deutscher Sozialreformer und Kommunalbeamter. Er gehört zu den Gründern der genossenschaftlichen Bewegung in Deutschland und ist der Namensgeber der Raiffeisenorganisation Foto: akg-images/picture alliance

Von Martin Kaluza

Allein die Tatsache, dass es die taz gibt, ist ja der Beweis, dass die Genossenschaftsidee keine so schlechte Idee sein kann. Die Organisationsform sichert das Überleben der Zeitung, die Sie gerade in Händen halten, und Sie können sicher sein, dass sie nicht irgendwann an einen Heuschreckenverlag verkauft wird, der alle Ihre Lieblingsredakteure entlässt und durch Bots ersetzt.

Rund um den Globus sind etwa eine Milliarde Menschen Mitglied einer Genossenschaft. 8.000 gibt es allein in Deutschland, jeder Vierte ist hierzulande Mitglied irgendeiner Genossenschaft. Genossenschaften vergeben Kredite, sie bauen vor Miethaien geschützte Wohnungen, retten Dorfläden, brauen regionales Bier und erzeugen Erneuerbare Energie. Auf dem Arbeitsmarkt sind sie ein großer Player. So rechnet der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) vor: „Genossenschaften schaffen weltweit mehr als 100 Millionen Arbeitsplätze, 20 Prozent mehr als multinationale Großunternehmen.“ In manchen Ländern wird ein Großteil der Landwirtschaft von Genossenschaften betrieben – in Norwegen erzeugen sie 99 Prozent der Milch, in Kenia machen sie 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Einmal im Jahr, immer am ersten Samstag im Juli, wird der Internationale Genossenschaftstag begangen, seit 1923. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „Nachhaltige Gesellschaften durch Kooperation“. Die Idee der Nachhaltigkeit, so schreiben die Organisatoren, liege in dreifacher Hinsicht in der Natur der Genossenschaften: „Als Wirtschaftsakteure schaffen sie Chancen für Jobs, Lebensunterhalt und Einkommen. Als auf Menschen ausgerichtete Unternehmen mit sozialen Zielen tragen sie zu sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit bei. Als von ihren Mitgliedern bestimmte demokratische Institutionen spielen sie eine wichtige Rolle in Gesellschaft und lokalen Communities.“

Raiffeisens Motto: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“

Die Grundidee: Menschen treten einem genossenschaftlich organisierten Unternehmen bei und werden zu Miteigentümern. Anders als bei Aktiengesellschaften ist nicht eine möglichst hohe Dividende das Ziel, sondern die Förderung der Mitglieder. In der Satzung einer Genossenschaft wird der jeweilige Förderzweck verankert – er kann sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Interessen dienen. Mitbestimmung und Selbstverantwortung sind ein wichtiger Bestandteil, von der Zahl der erworbenen Anteile hängt ab, wie groß das Stimmrecht der Mitglieder ist.

Die Idee ist ein Kind der Industrialisierung, sie hat sich in Großbritannien und Deutschland parallel entwickelt. Im 19. Jahrhundert hatten Bauernbefreiung und Industrialisierung dazu geführt, dass die Menschen auf dem Land und in der Stadt gleichermaßen verarmten. Die Bauern wurden erdrückt von Abfindungszahlungen an ehemalige Gutsherrn und Missernten. In den Städten verloren Handwerker und Gewerbetreibende ihre Arbeit, weil sie der Konkurrenz der Fabriken nicht standhalten konnten. Massenhaft zog es Landflüchtlinge in die Städte. Die Folge: übervölkerte Mietskasernen, prekäre Arbeitsbedingungen, Frauen- und Kinderarbeit. Aus den zunehmend unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen ging neben der Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften und dem Parteiensystem auch das Genossenschaftswesen hervor.

1849 gründete der sozial engagierte Richter Hermann Schulze-Delitzsch in seiner Heimatstadt Delitzsch die „Rohstoff­assoziation für Tischler und Schuhmacher“. Sie sollte den Mitgliedern durch die gemeinsame Abnahme größerer Mengen bessere Konditionen im Einkauf ermöglichen. Schulze-Delitzsch entwarf die Rechtsform, die bis heute den Kern der Genossenschaft ausmacht: Die Genossenschaftler erwarben Anteile und hafteten solidarisch, und um Leistungen von der Genossenschaft beziehen zu können, musste man Mitglied sein. Gleichzeitig lehnte Schulze-Delitzsch Unterstützung durch den Staat ab. Im Folgejahr rief er den „Vorschussverein“ ins Leben, der Kredite an seine Mitglieder vergab – den Vorläufer der heutigen Volksbanken.

Die Grundprinzipien einer eingetragenen Genossenschaft (eG) lauten: Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Eine Genossenschaft setzt sich aus Einzelpersonen zusammen, den Mitgliedern. Diese Unternehmensform ist demokratisch organisiert. Mitglieder einer Genossenschaft zahlen eine Einlage. Diese bildet das Stammkapital der Genossenschaft. Wer seine Mitgliedschaft kündigt, bekommt seine Einlage wieder ausgezahlt. Die Mitglieder einer Genossenschaft wählen die Vertreterversammlung. Diese wählt die Mitglieder des Aufsichtsrates. Darüber hinaus nimmt sie den Lagebericht des Vorstandes sowie den Bericht des Aufsichtsrats entgegen. Der Aufsichtsrat bestellt den Vorstand und begleitet ihn in seiner Arbeit. Der Vorstand leitet die Genossenschaft. Eine eG kann in vielen Bereichen wirken, bezahlbaren Wohnraum stellen oder Landwirte stärken. Auch Sozialgenossenschaften decken ein breites Spektrum ab: etwa bei der Integration behinderter Menschen, als Mehrgenerationenprojekte oder als Zusammenschluss sozialer und gesundheitlicher Dienstleister.

Zeitgleich baute Friedrich Wilhelm Raiffeisen eine ganz ähnliche Einrichtung für die Landbevölkerung auf, aus der später die Raiffeisenbanken hervorgingen. Sein Motto: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.“ Dank der Genossenschaft konnten die kleinen Bauern auch technologisch aufrüsten: Sie nutzten einen gemeinsam angeschafften Bestand an Maschinen und konnten sich den Einsatz von Kunstdünger leisten – beides wichtige Schritte in der Bekämpfung von Ernteausfällen und Hungersnöten, die zuvor so verheerende Folgen gehabt hatten.

Bis heute bilden Genossenschaften nach diesem Prinzip einen Schutzwall gegen die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus. Zudem sind sie ausgesprochen pleitesicher. Im Jahr 2015 zum Beispiel meldete in Deutschland nicht eine einzige Genossenschaft Insolvenz an. Da die Idee sich also insgesamt als ziemlich gut erwiesen hat, wurde sie 2014 von der Unesco in die Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.