Tricksers Traum

Der Italiener Marco Cecchinato schreibt bei den French Open Geschichte, zieht ins Halbfinale des Tennisturniers ein und stürzt einen angekränkelten Weltklassespieler in eine tiefe Sinnkrise

Aus Paris Jörg Allmeroth

Die Wege von Novak Djokovic und Marco Cecchinato haben sich schon einige Male gekreuzt. Aber da war die Hackordnung immer ganz klar. Novak Djokovic war der schillernde Weltstar, der Allesgewinner im Tennisbetrieb. Und er war der Mann, der sich zu Trainingszwecken einige Sparringspartner in seine Wahlheimat nach Monte Carlo einbestellte. Auch Cecchinato war darunter, ein 25-jähriger Italiener mit unorthodoxem Stil, ein Typ mit Raffinesse und Flexibilität auf dem Court. „Er ist eigentlich so etwas wie ein Vorbild für mich“, sagt Cecchinato, „Novak hat eine Traumkarriere im Tennis hingelegt.“

Aber falschen Respekt vor großen Namen hat der feurige Sizilianer nicht, auch nicht am Dienstagabend, als er Djokovic in Paris Auge in Auge auf Court Suzanne Lenglen gegenüberstand. Dreieinhalb Stunden kämpfte Cecchinato mit aller Leidenschaft, mit unbeugsamer Moral und glänzender Improvisationskunst, dann hatte er eine Story produziert, die dem Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär glich. 6:3, 7:6 (7:4), 1:6 und 7:6 (13:11) schlug der Weltranglisten-Zweiundsiebzigs­te im Viertelfinale den Mann, der noch vor zwei Jahren mit dem Triumph unterm Eiffelturm alle vier Grand-Slam-Titel gleichzeitig in seinem Besitz hielt. Er stürzte den Serben in eine Sinnkrise. „Ich bin sprachlos“, sagte der 31-jährige Serbe hinterher. Und dann, in der tiefen Depression des Augenblicks, stellte der zwölfmalige Grand-Slam-Champion sogar seine Teilnahme an den kommenden Rasenturnieren in Zweifel, also auch das Mitwirken in Wimbledon. „Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wie es jetzt weitergeht.“

„Er hat gespielt, als wäre es ein beliebiges Match, er hat gar keine Nerven gezeigt“

Novak Djokovic über seinen Gegner

Der fortgesetzte Triumphzug des tüchtigen Außenseiters Cecchinato verblüffte viele, ebenso der jähe Absturz von Djokovic, der sich wohl schon auf sicherem Weg ins Halbfinale wähnte, bevor ihm sein ehemaliger Trainingspartner einen Strich durch die Rechnung machte. „Er hat gespielt, als wäre es ein beliebiges Match“, befand Djokovic später erstaunt, „er hat überhaupt keine Nerven gezeigt.“ Ganz anders als er selbst, der zerbrechlich wirkende Tennistitan von einst.

Zwar hatte er nach kapitalem Fehlstart wieder die Regie in dem Match übernommen, verkürzte zum 1:2-Zwischenstand und führte auch im vierten Durchgang mit 4:1. Aber dann ließ er, auf einmal wieder fahrig und nervös, Cecchi­nato zurück ins Spiel. Es war ein Indiz dafür, dass er noch längst nicht wieder über die Autorität und Aura verfügt, die ihn einst ausgezeichnet hat. Auch seine alten, ins Betreuerteam zurückgeholten Weggefährten, Trainer Marjan Vajda und Fitnesspapst Gebhard Gritsch, verfolgten entgeistert, wie Novak Djokovic die Kontrolle und schließlich in einem hochklassigen Tiebreak in Satz vier das Spiel verlor. Der Rückschlag kam zum denkbar ungünstigsten Moment in Djokovics Comeback-Mission, nämlich in einer Saisonphase, in der die meisten Ranglistenpunkte und die wichtigsten Titel im Tennis vergeben werden.

Ein Spiel, zwei Gesichter: Während Djokovic (l.) die Contenance verliert, ist Cecchinato einfach nur ergriffen Fotos: dpa

In Normalform hätte er, der einst so umschwärmte Bewegungskünstler und Dauersieger, kühl das Tennismärchen von Cecchinato beendet. Aber so ging der verblüffende Vormarsch des Italieners weiter, der vor den French Open noch kein Grand-Slam-Match gewonnen hatte und meist abseits der großen Schlagzeilen seiner Arbeit bei Challenger-Wettbewerben nachgegangen war. Schlagzeilen hatte er bisher nur einmal produziert. Vor zwei Jahren wurde er wegen einer Wettmauschelei vom italienischen Verband zu einer 18-monatigen Sperre verurteilt, er soll damals einem Freund mitgeteilt haben, nicht auf ihn selbst, auf Cecchinato, Geld zu setzen, da er sich gesundheitlich nicht gut fühle. Später wurde die Sperre auf zwölf Monate reduziert, dann ganz aufgehoben. Angeblich wegen eines Verfahrensfehlers.

In Paris will Cecchinato nicht über die Affäre reden, seine Konzentration gelte ganz „diesem Moment in meinem Leben“. Ein Ruhmesblatt ist das alles natürlich nicht für die Tennisszene, die gegenwärtig intensiv darum kämpft, der Betrügereien Herr zu werden. Cecchinato wird so schnell nichts mehr mit der dritten Liga des Welttennis zu tun haben, nach diesem Turnier rückt er vermutlich bis unter die Top 30 vor. Aktuell stehen noch Dominic Thiem und aller Wahrscheinlichkeit nach Rafael Nadal zwischen ihm und dem Titel. Undenkbar? „Ich träume weiter.“