Überleben

Cannes Cannes 7: Neue Filme von Spike Lee und Hirokazu Koreeda

Unser Filmredakteur Tim Caspar Boehme berichtet täglich von den Inter­nationalen Filmfestspielen in Cannes

Von Tim Caspar Boehme

Black Lives Matter im Wettbewerb: Mit Spike Lees „BlacKkKlansman“ kam in Cannes die US-amerikanische Gegenwart auf die Leinwand. In Gestalt eines Märchens aus den 1970er Jahren. Über einen Afroamerikaner, der sich in Colorado für den Polizeidienst meldet, selbst wenn das nicht alle Kollegen auf seiner Wache begrüßen. Detective Ron Stallworth (mit formvollendeter Afro-Perücke: John David Washington) erhält schließlich den Auftrag, den örtlichen Ku-Klux-Klan zu infiltrieren.

Damit er als schwarzer Klanbruder nicht auffällt, steht ihm der jüdische Kollege Flip Zimmerman (Adam Driver) zur Seite. Die Arbeitsteilung der beiden sieht vor, dass Stallworth den Kontakt per Telefon aufnimmt, während Zimmerman die Zielpersonen besucht. Nach einigen Startschwierigkeiten nehmen die Ermittlungen Fahrt auf, und Stallworth arbeitet sich am Telefon schnell in der Hierarchie des Klans aufwärts, während der von Adam Driver herrlich stoisch gespielte Zimmerman die rechtsextremen Rednecks mit seinen Schießkünsten beeindruckt. Was für zuverlässige, wenn auch überwiegend vorhersehbare Komik sorgt.

Doch Subtilität ist etwas, das Spike Lee bei der Arbeit ohnehin zu stören scheint. Seine Botschaft verkündet er auch hier laut und deutlich. Lässt die rassistischen Protagonisten Dinge brüllen wie „America First!“, um so mit großen Hinweisschildern auf die Gegenwart zu deuten. Und stellt schöne, kluge, schwarze Bürgerrechtler hässlichen, teils debilen Klanbrüdern gegenüber.

Als Komödie klappt das durchaus. Eine gründliche Analyse zur Lage der Nation will er eh nicht bieten, sondern bettet seinen Aufschrei über ein Land, in dem Afroamerikaner immer noch fürchten müssen, von Polizisten erschossen zu werden, in schwarzen Humor. Wobei er der Sache selbst nicht ganz über den Weg zu trauen scheint und am Ende Originalbilder von der rechtsextremen Demonstration in Charlottesville aus dem vergangenen Jahr anfügt. Wäre nicht nötig gewesen.

Eine andere Realität zeigt der Japaner Hirokazu Koreeda in „Shoplifters“. Die Unterschicht seines Landes lässt er in seinem Wettbewerbsfilm einen Überlebenskampf führen, in dem Kinder zu Ladendieben herangezogen werden, um für Essen zu sorgen. Mit wenigen Gesten inszeniert er präzise, wie die Mundräuber zu Werke zu gehen. Ein Kinderspiel, doch bitterernst. Wobei diese Familie eine herbe Heiterkeit an den Tag legt, die den Sorgen entschieden trotzt.

Am heftigsten sind allerdings wieder diese herzzerreißenden Bilder von Kindern, die sich sogar in misslicher Lage zu helfen wissen und darüber ihre Zärtlichkeit nicht verlernen. Koreeda hatte schon in „Nobody Knows“ (2004) von ähnlich benachteiligten Kindern erzählt. In „Shoplifters“ beweist er wieder, dass er es meisterhaft versteht, mit seinen minderjährigen Darstellern zu arbeiten. Hier gerät die Geschichte des Jungen Shota und seiner „gefundenen“ Schwester Juri zudem zu einem Plädoyer für Wahlverwandtschaft, das am Ende für Unübersichtlichkeit sorgt – womöglich auch für Tränen.

Das Kino mag man unterdessen kaum verlassen. Wenn es draußen nicht regnet, treibt einen die Kälte in die nächste Vorstellung. Bei dem vorwiegend erfreulichen Wettbewerb ist das keine schlechte Option. Tim Caspar Boehme