„Die schlimmste Zeit meines Lebens“

Solomon Taffese saß über drei Jahre im Gefängnis. Aufgeben tut der äthiopische Journalist nicht.

Solomon Kebede Taffese, Teilnehmer des Refugium- Projekts von März bis Mai 2018 Foto: Barbara Dietl

Interview Andreas Lorenz

taz: Herr Taffese, Sie saßen lange in einem äthiopischen Gefängnis. Warum?

Solomon Taffese: Wir haben in unserer Zeitschrift YeMuslimoch Guday

… „Muslimische Standpunkte“ …

über die Demonstrationen berichtet, die sich gegen die Versuche der Regierung richteten, sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen, etwa die religiösen Oberhäupter zu bestimmen und eine bestimmte Sekte aus dem Libanon, Ahbash, zu fördern. Es dauerte nicht lange, bis zwei meiner Kollegen verhaftet wurden, zwei flüchteten ins Ausland. Übrig blieb ich. Aber nach fünf Monaten haben sie auch mich eingesperrt.

Wie lautete die Anklage?

Zunächst haben sie behauptet, ich sei Terrorist. Ich soll Waffen gehortet und Rebellen ausgebildet haben. Die Polizei fährt immer so schweres Geschütz auf, damit das Gericht Haft anordnet. Später warfen sie mir vor, mit meinen Artikeln zu Gewalt aufzurufen.

Und? Haben Sie?

Nicht im Geringsten. Das würde ohnehin niemand wagen. Selbst wenn du die Regierung nur kritisierst, landest du früher oder später im Gefängnis. Wir haben lediglich über die Demonstrationen und andere Dinge berichtet, die den Oberen nicht gefielen. Unsere Zeitschrift konzentrierte sich darauf, über an den Rand gedrängte Gruppen wie die Oromos, die Somalier und die Afaren zu berichten, in denen es eine Menge Muslime gibt.

Sie wurden verurteilt …

Ja, zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis. Allerdings brauchte das Gericht drei Jahre bis zum Urteil. In dieser Zeit saß ich schon hinter Gittern. Wegen guter Führung haben sie mich nach drei Jahren und drei Monaten freigelassen. Das war 2015.

Wie erlebten Sie das Gefängnis? Mussten Sie arbeiten? Waren Sie allein in einer Zelle?

Die ersten 15 Tage waren die schlimmste Zeit meines Lebens. Die Zelle war 1,5 Meter breit und 1,5 Meter lang. Ich konnte mich nicht ausstrecken. Es war kalt und immer dunkel. Auf die Toilette durfte ich nur zweimal am Tag.

Wurden Sie geschlagen?

Natürlich. Ich musste sechs Stunden lang stehen. Sie schlugen mich immer wieder mit einem Computerkabel. Sie zwingen dich, etwas zu gestehen, was du gar nicht weißt. Schließlich bringen sie dich dazu, ein Papier zu unterzeichnen …

… ein Geständnis …

Ich habe es am 15. Tag unterschrieben, dann ließen sie mich in Ruhe. Schon am 16. Tag durfte mich meine Mutter besuchen.

Danach …

… hörte die Folter auf, nach zwei Monaten wurde ich in der Haftanstalt verlegt. Dort durften die Häftlinge auf die Toilette, wann sie wollten. Wissen Sie, wie wichtig das für einen Menschen ist? Außerdem konnten wir entscheiden, wann wir duschen. Die Häftlinge nennen diesen Ort „Sheraton“, nach dem 5-Sterne-Hotel in Addis Abeba. Dann haben sie mich in ein anderes Gefängnis gebracht. Ich begann, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Es gelang mir, meine Notizen nach draußen zu schmuggeln.

Sie haben inzwischen ein Buch über Ihre Haft veröffentlicht …

Ja, es war allerdings überaus schwierig und langwierig, einen Verleger zu finden. Der Inhalt ist zwar nicht illegal, aber wer möchte schon auf die schwarze Liste der Regierung kommen? Inzwischen ist die zweite Auflage erschienen.

Sie haben nach Ihrer Haft versucht, die Zeitschrift wieder zu beleben …

Ja. Aber die Behörden warfen mir vor, die Mehrwertsteuer nicht deklariert zu haben. Deshalb müsse ich bestraft werden.

Steuern für eine Zeitschrift, die nicht mehr erscheint, weil ihre Redakteure hinter Gittern sitzen oder ins Ausland geflohen sind?

Genau. Ich habe Widerspruch eingelegt. In der Zwischenzeit habe ich mich dann als Keramikhändler durchgeschlagen.

Solomon Kebede Taffese, 34

ist ein äthopischer Journalist und Buchautor. Seine Zeitschrift „YeMuslimoch Guday“, berichtet kritisch über Regierungsaktivitäten gegen religiöse Minderheiten. Nach einer dreijährigen Haftstrafe versuchte er die Zeitschrift wieder zu beleben. Wegen angeblich falscher Steuerdeklarierungen ist Solomon Kebede Taffese derzeit mit hohen Strafzahlungen seitens der Behörden konfrontiert.

Äthiopien hat eine neue Regierung, die liberaler zu sein scheint. Sie hat jüngst Journalisten und Oppositionelle freigelassen.

Das stimmt. Sie ließen mehr als 6.000 Menschen laufen. Nach heftigen Demonstrationen wurde der Premierminister ausgewechselt. Die Partei ist allerdings noch immer die gleiche: die Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker, die das Land nun seit 27 Jahren regiert. Wir hoffen auf einen Wandel, aber ein wirklicher Wandel stellt sich womöglich nicht ein.

Warum nicht?

Die Person an der Spitze ist eine andere, das undemokratische System aber ist das gleiche. Gesetze beschränken zum Beispiel die Existenz einer lebendigen Zivilgesellschaft. Das Antiterrorismusgesetz sollte auch verschwinden. Von Pressefreiheit kann noch nicht die Rede sein. Aber die Menschen hoffen, dass der neue Premierminister das System verändern wird.

Sie sind zum ersten Mal in Europa. Was hat Sie am meisten überrascht?

In Äthiopien hieß es, die Deutschen seien sehr unfreundlich, schwierig im Umgang und ablehnend gegenüber Fremden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Leute sind zudem sehr ehrlich: Sie kaufen Tickets für Busse und Bahnen, obwohl kaum jemand kontrolliert.

Frage: Was haben Sie in Ihrer Zeit in Berlin gemacht?

Ich habe mehr als die Hälfte meines zweiten Buches über die Haft geschafft und daran gearbeitet, die Zeitschrift wieder herauszubringen. Außerdem habe ich einige Onlinekurse in Printjournalismus und Internetsicherheit belegt.

Solomon Taffese musste seinen Aufenthalt in Berlin schon nach zwei der drei Monate abbrechen. Die Behörden in Addis Abeba verlangten, dass er die im Interview erwähnte Strafe bezahlt und dabei persönlich erscheint. Es ging um 3.000 Euro. Wenn er nicht bezahlen würde, könnte ihm verboten werden, jemals wieder eine Zeitschrift zu veröffentlichen, fürchtet er. Das Interview haben wir kurz vor seiner Abreise geführt.

Andreas Lorenz hat viele Jahre für den „Spiegel“ und zahlreiche Tageszeitungen als Auslandskorrespondent berichtet. Seit 2011 engagiert er sich bei der taz Panter Stiftung als Kuratoriumsmitglied für die Ausbildung von JournalistInnen.