Gepeinigter Spatz

Olympiasiegerin Olga Korbut, 63, berichtet über sexuelle Übergriffe durch einen Nationaltrainer. Doch der verhöhnt die ehemalige russische Turnerin nur

Das Leben, ein Spagat: Korbut am Balken während der Olympischen Sommerspiele 1976 in Montreal Foto: imago

Von Barbara Oertel

Fröhlich winkend, mit wippenden Zöpfen und immer ein Lächeln im Gesicht – selbst bei dem waghalsigen, nach ihr benannten Flip am Stufenbarren: So präsentierte sich die damals 17-jährige russische Kunstturnerin Olga Korbut alias der „Spatz von Grodno“ bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Dort räumte sie dreimal Gold ab. Doch die zur Schau getragene Leichtigkeit war nur die eine Seite der Medaille. Nach dem Training legte ihr langjähriger Betreuer Renald Knysch gern mal Hand an – ein Engagement, das deutlich über den sportlichen Support hinausging.

USA

Das US-Olympiakomitee USOC hat weitere Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal um den ehemaligen Mannschaftsarzt der US-Turnerinnen gezogen und Wendy Guthrie als neue Direktorin für Athletensicherheit angestellt. Der Verband entschied sich zu diesem Schritt, nachdem sich weibliche Turnerinnen darüber beschwert hatten, sie würden nicht genügend vor Belästigungen und Missbrauch durch Trainer und Betreuer geschützt. „Mit der Sicherheit unserer Athleten können wir nicht vorsichtig genug sein. Es ist ein weiterer Schritt, gegen Missbrauch anzukämpfen“, sagte Susanne Lyons, Vorsitzende des USOC. Guthrie wird die Umsetzung aller Sicherheits­richtlinien für USOC-Athleten leiten und beauf­sichtigen.

1981 leiteten sowjetische Behörden ein Verfahren gegen Knysch ein, nachdem eine Turnerin versucht hatte, sich mit einer Überdosis Nitroglyzerin das Leben zu nehmen. Knysch habe mit ihr ab ihrem 14. Lebensjahr eine sexuelle Beziehung unterhalten, sagte sie später aus. Aus Mangel an Beweisen versandeten die Ermittlungen jedoch, und der Fall wurde zu den Akten gelegt. Korbut selbst, die mit ihrer Familie seit 1991 im US-Bundesstaat Arizona lebt, machte erst 1999 Vorwürfe gegen Knysch wegen sexuellen Missbrauchs bis hin zur Vergewaltigung öffentlich. Der stritt alles ab und bezeichnete die Anschuldigungen als frei erfunden und „Dreck“.

Doch jetzt könnte den heute 86-Jährigen, der ein Ehrenbürger der Stadt Grodno ist, seine Vergangenheit doch noch einholen. Unlängst wagten sich vier Teamkameradinnen von Korbut aus der Deckung, die Ähnliches wie sie zu berichten wissen. „Er war ein Drecksack und hat uns verspottet“, sagt Halina Chasnjuskaja, die ebenfalls dem sowjetischen Turnkader angehörte. „Ich hätte niemals gedacht, dass es einen Zeitpunkt in meinem Leben geben würde, an dem jeder erfährt, was Knysch uns angetan hat“, sagt sie in einem Exklusivinterview mit dem weißrussischen Dienst von Radio Freies Europa.

Letzte Rettung: ein Sprung aus dem Wolga, um Schlimmeres zu verhindern

Die beiden Turnerinnen Halina Karcheuskaja und Ljudmilla Rabkowa erinnern sich mit Grausen an die Angebote Knyschs, sie nach dem Training in seinem Wolga nach Hause zu fahren. Vielfach half nur noch ein Sprung aus dem Auto, das in Richtung Wald unterwegs war, um das Schlimmste zu verhindern. Quasi als flankierendes Beiwerk habe Knysch regelmäßig Sexspielzeug und Pornohefte an seine „Schützlinge“ verteilt. „Wenn meine Eltern herausgefunden hätten, was Knysch mit uns machte, hätte ihn mein Vater, ein Offizier, erschossen“, sagt Rabkowa.

Olga Korbut, 63, lebt mittlerweile in den USA Foto: Archiv

Auch die Schwester von Olga Korbut, Ljudmilla Baschko, trainierte in den späten 60er Jahren bei Knysch: „Das ist für unsere Familie ein sehr schwieriges Feld. Das alles ist sehr schmerzhaft.“ Was sie nicht explizit sagte: Dass es in der immer noch sehr prüden weißrussischen Gesellschaft vor allem der älteren Generation schwerfällt, sich zu intimen Themen offen zu äußern. Dennoch scheint der Leidensdruck, sich mitzuteilen, größer gewesen zu sein als die Scham. „Wenn Knysch Olga nicht so in den Schmutz gezogen hätte, hätten wird uns jetzt nicht dazu geäußert“; sagte Halina Karcheuskaja. Über jemanden Dreck auszukippen, darauf versteht sich der ehemalige Trainer besonders gut. Die jüngsten Einlassungen der früheren Sportlerinnen nannte er ein Lüge und eine Abscheulichkeit. Je mehr Turnerinnen jemanden erniedrigten, desto mehr erhöhten sie sich selbst, so Knysch. Es sei schon immer ihr Ziel gewesen, die Geliebte oder Ehefrau ihres Trainers zu werden, befand er.

Korbut sorgte erst im Vorjahr wieder für Schlagzeilen. Im Februar versteigerte sie drei ihrer Medaillen für 282.000 Euro. Laut Medienberichten waren finanzielle Schwierigkeiten der Grund für die Entscheidung.