Ihre Kunst ist unverkäuflich

Die US-Künstlerin Sudan Archives wühlt sich durch musikethnologische Sammlungen und kreiert mit einer Geige einen eigenwilligen Sound aus HipHop, Folk und elektronischer Beat Science

Wie in den goldenen Zeiten von Erykah Badu: Sudan Archives Foto: Stones Throw Records

Von Diviam Hoffmann

Der afroamerikanische Autor Alex Haley verfolgt in der Familiensaga „Roots“ die Generationen seiner Familie zurück, von den 1970ern bis zu dem Vorfahren, der im 18. Jahrhundert als Sklave in die USA verkauft wurde und dort rebellierte. In Haleys epischem Roman heißt er nur „der Afrikaner“: Kunta Kinte. US-Rapstar Kendrick Lamar hat sich den Protagonisten für einen Song ausgeliehen, auf seinem Album „To Pimp A Butterfly“ (2015) macht er die Figur „King Kunta“ zum König der Unterdrückten.

Die junge US-amerikanische Sängerin, Produzentin und Geigerin Brittney Parks alias Sudan Archives covert wiederum Lamars Song als „Queen Kunta“. Auf dem Boden sitzend, fährt sie in einer Session elektronisch produzierte Beats ab, klopft auf den Geigenkorpus und loopt ihre Stimme sowie gezupfte und gestrichene Passagen ihrer Geige. Anhand der Originalversion zeigt sie, wie abwechslungsreich und innovativ eine Violine klingen kann.

Mit Alex Haley und Kendrick Lamar hat Brittney Parks noch etwas gemeinsam: Auch ihre Vorfahren wurden gewaltsam in die USA verschleppt. In ihrer Kunst richtet die 23-Jährige ihren Blick nun auf den Kulturraum, in den ihre Familiengeschichte zurückreicht. Den Namen „Sudan“ hat sie von ihrer Mutter bekommen, denn schon als Teenager interessierte sich Brittney Parks für den afrikanischen Kontinent. Sie wuchs in einer religiösen Familie auf, oft zog sie um, bis sie in der Industriestadt Cincinnati, Ohio landete. Sudan, damals noch Brittney, lernte die Geige als Instrument bei einem Konzert in ihrer Schule kennen und begann sie selbst nach Gehör zu spielen. Ihre Affinität zu Afrika, die sich auch in ihrem Styling ausdrückt, macht aus dem wohl klassischsten aller Instrumente eines, mit dem sie nun Grenzen auslotet.

Denn die Musikerin, die sich mittlerweile in Los Angeles niedergelassen hat, hat auch den zweiten Teil ihres Künstlerinnennamens Sudan Archives bewusst gewählt: Heute studiert sie Musik, wühlt sich zu Studienzwecken durch musik­ethnologische Archive und entdeckt vergessene Songs auf YouTube. In der Auseinandersetzung mit nordostafrikanischer Geigentraditionen lernte sie, dass ihr Streichinstrument auch als Rhythmusinstrument einsetzbar ist. In einigen nordafrikanischen Gemeinschaften wird durch perkussiven Einsatz des Instrumentenkörpers sowie durch rhythmisches Streichen und Zupfen der Saiten die Geige zur Basis von Tanzmusik. Auf „Sink“, ihrer zweiten EP, erklärt Parks die Violine nun auch explizit als ton- und rhythmus­angebend: „My strings propagate this bass in time“, heißt es in dem Song „Nont For Sale“.

Inspirieren lässt sich Sudan Archives von den Forschungen der Musikethnologin Jacqueline Cogdell DjeDje und dem kamerunischfranzösischen Musiker und Wissenschaftler Francis Bebey. Für die Rhythmen, die sie mit ihrer Geige baut, steht aber auch der Sound von US-HipHop Pate. In dem Song „Mind Control“ schmiegen sich Parks’ Vocals so soft um ätherische Synthesizer-Hooklines, dass man sich direkt in die goldene Zeit der R&B-Künstlerin Erykah Badu zurückversetzt fühlt. Beats sind dabei in „Mind Control“ tonangebend, das Stück erinnert auch an den schlagzeuggetriebenen Sound von Flying Lotus, der ebenfalls in L. A. ansässig ist.

Sudan Archives will Vorbild sein. Als Kind, sagt sie, habe sie keine schwarzen Frauen gekannt, die Geige gespielt oder in einem Orchester mitgewirkt hätten

Auch in den anderen fünf Stücken bildet Parks’ Streichinstrument mit den elektronischen Beats das Grundgerüst der Songs. Beats, Synthesizer, Geige und Gesang finden mal klar zusammen („Sink“, „Nont For Sale“), erscheinen aber auch mal extravagant geschichtet („Beautiful Mistake“). So gelingt es Sudan Archives, sich etwas von der reinen Verbindung folkloristischer Elemente und Elektronik zu emanzipieren. In „Escape“ wagt sie sogar einen housigen Four-To-The-Floor-Rhythmus und entwickelt sich in Richtung einer eigenen Beat-Klangsignatur weiter.

Für ein Video ihrer ersten Veröffentlichung, einer EP aus dem vergangenen Jahr, ist sie das erste Mal auf dem afrikanischen Kontinent gewesen. Ihr neues Werk, „Sink“, sei nun inspiriert von Fluidität. Wasser spiele eine große Rolle – und damit auch der Ozean, der zwischen dem Land liegt, in dem Sudan Archives aufgewachsen ist, und dem Kontinent, dem ihr musikalisches Interesse gilt.

Sudan Archives wertet ihre Musik nicht explizit als politische Kunst. Lieber will sie Vorbild für junge Mädchen sein. Als Kind habe sie keine schwarzen Frauen gekannt, die Geige gespielt oder in einem Orchester mitgewirkt hätten. Wie zuletzt etwa auch die Knowles-Schwestern und Jamila Woods zeigt sie, dass Selbstverwirklichung für Schwarze Künstlerinnen möglich ist. Sie singt: „This is my seat, can’t you tell / This my time, don’t waste it up / This is my land, not for sale.“ Anders als Beyoncé Knowles zielt Sudan Archives’ Pop-Ansatz nicht auf glatte Produktion und streng choreografierte Bühnenshows: Sie behält lieber alle Fäden in der Hand, wenn sie Geige, Mi­krofon und Loop-Station zu ganz großen Songs verknüpft.

Sudan Archives: „Sink“, Stones Throw/PIAS/Rough Trade

Live: 12. Juni, „Mojo Club“, Hamburg, 13. Juni, „Yaam“, Berlin, 16. Juni, „Maifeld Derby Festival“, Mannheim