Trickserei bei der Deutschen Bank: Die Finanzkrise hat noch Puls

In den USA sind milliardenschwere Verfahren gegen die Bank anhängig. Hat sie zu wenig Reserven zurückgestellt? Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Zwei Türme der Deutschen Bank-Zentrale ragen in den blauen Himmel

Die Bank schraubte sich mit ungesicherten Krediten in schwindelerregende Höhe, jetzt geht's bergab Foto: Reuters

BERLIN taz | Der Wirtschaftsprüfer der US-Kanzlei Clayton, der im Oktober 2006 eine Mail schrieb, dachte vermutlich nicht im Traum daran, dass sie in die Geschichte der Finanzkrise eingehen würde. Und vermutlich dachte kein einziger Manager der Deutsche Bank, dass er dem Geldhaus im Jahr 2018 immer noch gefährlich sein könnte.

Nennen wir den Wirtschaftsprüfer John. Seine Mail ging an den Leiter eines Teams, das bei der Deutschen Bank für Immobilienkredite zuständig war. John schrieb: „Ich hab in Fremont mit einem Verkäufer gesprochen, der sagte mir: ‚So lange der Kreditnehmer noch einen Puls hat, können wir ihm einen Kredit verschaffen.‘ “ Sollte heißen: Jedem, der noch atmen kann, verkaufen wir ein Haus.

Dieser Fall könnte die Deutsche, wie sie in den USA genannt wird, erneut einholen: Sie hat zwischen 2006 und 2007 Investoren beim Bündeln, Versichern, Bewerben, Verkauf und bei der Ausgabe von Wertpapieren, die auf faulen Immobilienkrediten beruhten, verschaukelt. RMBS, Residential Mortgage Backed Securitys, hießen diese Wertpapiere.

All die Angaben finden sich in Unterlagen zu einem Vergleich, den die Bank 2016 mit dem US-Justizministerium schloss. „Die Deutsche Bank hat nicht nur Investoren in die Irre geführt: Sie hat direkt zu einer internationalen Finanzkrise beigetragen“, schrieb die Generalstaatsanwältin Loretta E. Lynch damals. Die Deutsche Bank zahlte 7,2 Mil­liar­den Dollar, großteils für einen Opferfonds. Rund 20 Mil­lio­nen Menschen verloren durch Zwangsversteigerungen nach 2008 in den USA ihre Häuser. Der Vergleich galt als Befreiungsschlag für die Bank: Das Justizministerium hatte erst bis zu 20 Milliarden gefordert, an den Börsen spekulierten einige deshalb mit einer Insolvenz. Nun schien das gefährlichste Kapitel aus der Vergangenheit der Frankfurter Großbank beendet: die Mitschuld an der globalen Finanzkrise ab 2007.

Acht Klagen liegen vor

Scheint! Denn der Vergleich von 2016 führte auch dazu, dass die Verantwortung der Bank heute perfekt dokumentiert ist. Was ihr nun auf die Füße fallen könnte, denn große Anleger gingen damals leer aus: Darunter mächtige Fondsverwalter wie Blackrock, die Allianz-Tochter Pimco, aber auch die deutsche DZ Bank AG, die Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, alle hatten RMBS-Papiere gekauft, alle klagen. Acht derartige Verfahren hat die Deutsche Bank noch am Hals, zwei davon sind Sammelklagen, eine in New York, die andere in Kalifornien, die Klageschriften liegen der taz vor.

In beiden Fällen steht die Deutsche Bank einem Bündnis um Blackrock gegenüber. Die Bank hat die toxischen Papiere dabei zwar nicht selbst verkauft, aber die Depots mit den Wertpapieren als Treuhänderin verwaltet. Das war ein zweiter Weg, damit Geld zu verdienen. Die Anwälte argumentieren, die Bank habe die Pflicht gehabt, ihre Kunden unmittelbar zu informieren, wenn Verluste drohen. Das tat die Deutsche aber nicht. Obwohl sie längst wusste, durch die Mail von John und vieler anderer, dass die RMBS-Wertpapiere Schrott waren – weil viele Hauskäufer ihre Kredite gar nicht abzahlen konnten. Gewarnt hat die Deutsche Bank ihre Kunden jedoch nicht, so die klagenden Fonds vor Gericht.

Vor Gericht in Kalifornien geht es um 75,7 Milliarden Dollar Schaden

Mitgemacht haben bei verschiedenen Formen des großen Immobilienbetrugs übrigens so gut wie alle Wall-Street-Banken. JPMorgan Chase, Citigroup, Credite Suisse und viele andere mussten in den USA fast 180 Milliarden Dollar Strafe zahlen, in der EU 20 Milliarden.

Im aktuell noch laufenden Verfahren in Kalifornien nun sprechen die Kläger von einem Schaden von 75,7 Milliarden Dollar, das schreibt die Deutsche Bank in ihrem Geschäftsbericht 2017 selbst. Sie hat versucht, die Richter dazu zu bringen, den ganzen Prozess abzublasen, – zwar konnte sie einige der Klagepunkte bereits abbügeln, aber das Verfahren ist nicht zu stoppen: Das Beweisverfahren läuft.

Rasanter Wertverlust

Eine Strafe von 75 Milliarden Dollar, die Summe ist utopisch, sie würde das Ende der Bank bedeuten. Dass es so viel wird, erwartet niemand. Üblicherweise fordern Kläger in den USA Mondbeträge, um sich in einem späteren Vergleich auf deutlich niedrigere Summen zu einigen. Doch nur ein Zehntel der Summe wäre für die Bank ein ernstes Problem.

Denn selbst unter dem seit April amtierenden Chef Christian Sewing verliert sie an Börsenwert, binnen 12 Monaten waren es 32 Prozent, jetzt sind die Frankfurter noch mit rund 27 Milliarden Dollar notiert. Zum Vergleich: Die spanische Banco Santander bringt es auf 102 Milliarden, weltweit am höchsten bewertet ist derzeit die US-Bank JPMorgan Chase mit 387 Milliarden Dollar Börsenwert. Nächste Woche ist Hauptversammlung, es wird Diskus­sio­nen geben – einige Aktionäre werden fordern, Aufsichtsratschef Paul Achleitner abzuberufen, wahrscheinlich erfolglos.

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Vermutlich werden die US-Klagen kein Thema sein, weil kaum einer auf dem Schirm hat, wie sehr die Bank da zockt. Die Deutsche Bank hat zwar noch diverse andere Prozesse am Hals, etwa wegen der Manipulation von Zinssätzen wie dem Euribor und dem Libor. Allerdings hat allein das Verfahren in Kalifornien das Zeug dazu, alle auf dem falschen Fuß zu erwischen. Denn die Bank nimmt das Risiko nicht ernst. Sie bildet zu wenige Rückstellungen für den Fall, dass sie wegen der Sammelklagen weitere Milliarden abdrücken muss. Sie selbst begründet das in ihrem Geschäftsbericht damit, dass es noch keine konkreten Forderungen gebe. Deshalb bildet sie hauptsächlich „Eventualverbindlichkeiten“.

Das ist ein großer Unterschied: Rückstellungen sind handfeste Vermögenswerte, die in der Bilanz unmittelbar den Gewinn drücken, Eventualverbindlichkeiten können wie eine Art Sonderposten geführt werden und haben keine Auswirkung auf die Bilanz. Die Bank bildet also vermutlich deshalb kaum Rücklagen für die RMBS-Prozesse, weil sonst die Verluste der vergangenen drei Jahre noch höher ausgefallen wären.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Möglicherweise hat sie genau deshalb seit Januar 2017 ein bisher in der Öffentlichkeit unbekanntes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main am Hals. Möglicherweise, denn über die genauen Inhalt schweigen sich die Ermittler wie üblich aus. „Beschuldigt sind Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats der Deutschen Bank. Es geht um den Vorwurf der unrichtigen Bilanzierung und unzureichenden Rückstellungsbildung“, schreibt die Staatsanwaltschaft Frankfurt der taz auf Anfrage.

Das Ermittlungsverfahren geht zurück auf eine Anzeige der beiden Rechtsanwälte Reiner Fuell­mich, Göttingen, und Michael T. Bondorf, Hamburg.

Fuellmich kämpft seit Jahren gegen die Deutsche Bank, die in den 90er Jahren in mindestens 4.000 Fällen überteuer­te Schrottimmobilien an private Investoren verkauft haben soll, so der Vorwurf. Jetzt werfen Bondorf und Fuellmich der Bank vor, „ihre längst eingetretene Insolvenzreife“ zu verschleiern, weil sie ihre Pflicht verletzte, genug Rückstellungen zu bilden und das auch zu veröffentlichen. Ob die Staatsanwaltschaft dieser Argumentation folgt, lässt sich nicht sagen – immerhin nimmt sie die Anschuldigungen der Anwälte so ernst, dass sie nach Vorermittlungen auch ein echtes Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. „Nach unserer Einschätzung sind die Vorwürfe gegenstandslos. Darüber hinaus entspricht die Rückstellungspraxis der Bank allen relevanten gesetzlichen Vorschriften und wird im vorgeschriebenen Rahmen von den Abschlussprüfern der Bank bestätigt. Wir rechnen daher mit einer Einstellung des Strafverfahrens“, sagt ein Sprecher der Deutschen Bank auf Anfrage.

Zwei Rechtanwälte werfen der Bank vor, „ihre längst eingetretene Insolvenzreife“ zu verschleiern

Wann über die Sammelklagen in New York und Kalifornien entschieden wird, ist unklar. Blackrock gibt keinen Kommentar zu dem Fall ab. Doch eine nicht eben kleine Kleinigkeit macht die Sache – nun, verwirrend: Blackrock verklagt die Deutsche Bank nicht nur, der Fonds hält auch 6 Prozent der Anteile an der Bank. Würde die Bank Milliarden an Blackrock abdrücken müssen, wäre Blackrock gleichzeitig geschädigt, weil der Kurs der Deutschen Bank weiter abstürzte. Vielleicht rettet diese Verquickung die Bank, zumindest was den Prozess in Kalifornien angeht. Vielleicht nutzt Blackrock sie aber auch aus, weil mit einem noch geringeren Börsenwert eine Teilübernahme der Bank durch andere Wall-Street-Banken erzwungen werden könnte.

Vielleicht aber braucht es für ein Ende der Deutschen Bank in der heutigen Form nicht einmal weitere Milliardenstrafen: Die beiden Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s drohen ohnehin, ihre Bonität weiter herabzustufen, drei Großbanken prognostizierten diese Woche einen weiteren Kursverfall.

„Die Deutsche Bank ist eine Problembank“, sagte diese Woche der Finanzinvestor Steve Eis­man der Nachrichtenagentur Bloomberg und empfahl, auf weiter fallende Kurse zu setzen. Der Mann, verfilmt in „The Big Short“, ist berühmt, weil er 2007 als einer der wenigen auf den Kollaps des US-Häusermarktes setzte. Eisman verdient mit Krisenbanken in der Regel viel Geld. Die Geier kreisen über der Deutschen Bank.

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