Erdoğan will von Wahl profitieren

Der vorgezogene Termin soll die Macht des Präsidenten sichern

Von Ali Çelikkan, Berlin

Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei sollten eigentlich im November 2019 stattfinden, also vier Jahre nach der letzten Parlamentswahl. Jetzt wurden sie vorgezogen. Der Vorschlag dafür kam von Devlet Bahçeli, dem Vorsitzenden der ultranationalistischen MHP, dem Bündnispartner der Regierung. Erdoğan stimmte zu. In einer Phase, in der für die Wirtschaft und die Militäroperationen in Syrien wichtige Entscheidungen anstünden, müsse gewährleistet sein, dass diese aus einer Position der Stärke getroffen werden, so die Begründung Erdoğans.

Dabei hatte der türkische Staatspräsident erst im März ausgeschlossen, dass die Wahlen vorgezogen würden. Derselbe Erdoğan hatte auch 2009, als die Opposition nach vorgezogenen Neuwahlen rief, gesagt: „Vorgezogene Wahlen sind ein Zeichen für Rückständigkeit.“

Beim Referendum am 16. April 2017 war die Einführung des Präsidialsystems abgesegnet worden, umgesetzt wird es jedoch erst mit den kommenden Wahlen. Gemäß dem Resultat des Referendums ist nach der Wahl des/der neuen Präsident*in die Trennung zwischen Legislative und Exekutive abgeschafft. Erdoğan sagte bei seiner Begründung auch: „Das neue Regierungssystem muss schleunigst eingeführt werden.“

Seit Freitag stehen die Präsidentschaftskandidaten aller Parteien fest: Tayyip Erdoğan (AKP), Selahattin Demirtaş (HDP), Muharrem İnce (CHP) und Meral Akşener ( İyi Parti). İnce gilt als überzeugter Atatürk-Anhänger, temperamentvoller Redner und scharfer Kritiker Erdoğans. Die ultranationationalistische İyi-Partei (auf Deutsch: „Gute Partei“) geht mit Parteigründerin Akşener als Präsidentschaftskandidatin ins Rennen. Die İyi-Partei hatte sich von der MHP abgespalten, weil Letztere mit der AKP kooperierte. Sie stellt sich erstmals zur Wahl.

Seit Verabschiedung des „Wahlbündnisgesetzes“ wird erwartet, dass die Wahlen unter unfairen Bedingungen stattfinden werden. Es herrscht weiter Ausnahmezustand und das neue Gesetz enthält Regelungen, die etwa mehr Sicherheitskräfte in den Wahllokalen vorsehen und auch erlauben, Stimmzettel ohne Siegel zu zählen. Demgegenüber engagieren sich gleich mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen für faire Bedingungen bei den Wahlen.

Wähler*innen in Deutschland können bis zum 19. Juni ihre Stimme abgeben. Bei den letzten Parlamentswahlen am 1. November 2015 stimmten 59,7 Prozent für die AKP. Zur Wahl gingen damals aber nur 41 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland.

Eine Neuauflage des Streits über türkische Wahlkampfauftritte in Deutschland wird nicht erwartet. 2017 hatte Deutschland Amtsträgern aus Nicht-EU-Staaten Wahlkampfauftritte im Zeitraum von drei Monaten vor den betreffenden Wahlen verboten. Das türkische Außenministerium entgegnete vergangene Woche, Staatspräsident Erdoğan oder andere Regierungsmitglieder hätten gar nicht vor, in Deutschland Wahlkampf zu betreiben. Woanders wird dies jedoch geschehen: Erdoğan erwartet am 20. Mai bis zu 10.000 Auslandstürk*innen in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina.

Übersetzung: Sabine Adatepe