Sehr verdächtige Strippenzieher

Der Biathlon-Weltverband soll Dopingfälle vertuscht haben. Präsident Anders Besseberg tritt zurück. Die Staatsanwaltschaft ermittelt

Beim Gedanken an seinen neuen Nebenjob in der Skijägerei fällt Erik Lesser sofort ein Name ein: Lowell Bailey. Der scharfzüngige Kollege aus dem US-Bundesstaat North Carolina, einer seiner beiden Vorgänger in der Athletenkommission des Biathlon-Weltverbands (IBU), beendete vor einem Monat, beim vorletzten Weltcup des Winters in Oslo, seine Karriere. Und eine Woche zuvor betonte Bailey im finnischen Kontiolahti in einem Interview unter anderem: „Meiner Meinung nach ist es Zeit für eine neue Führung in der IBU.“

Damit traf der 36-Jährige den Nerv von Lesser, dem im Urlaub vor dem Start in die nächste Saisonvorbereitung gerade düstere Nachrichten aus seiner Branche erreichen: Am Dienstag durchsuchten österreichische Ermittler die IBU-Zentrale in Salzburg, im Fokus standen der norwegische Verbandspräsident Anders Besseberg, 72, und die deutsche General­sekretärin Nicole Resch. In Norwegen wurde zudem der Wohnsitz von Besseberg durchsucht. Und der Chef der Skijäger, seit 1993 im Amt, gab sich so arglos und inhaltlich schwammig, wie man ihn bei öffentlichen Auftritten in der Vergangenheit meist erlebte.

„Es wird behauptet, dass wir verdächtigen Proben nicht nachgegangen sind und dass es russische Athleten gab, die mit verbotenen Substanzen im Körper an der WM 2017 in Hochfilzen teilgenommen und dabei Preisgelder erkämpft haben“, sagte Besseberg – und erklärte: „Ich denke, wir haben im Einklang mit den Richtlinien gehandelt. Aber ich kann nicht sagen, ob die Ermittler das genauso sehen.“

Am Donnerstagmittag gab der IBU-Vorstand seinen Beschluss bekannt, nach dem Generalsekretärin Resch für die Dauer der Untersuchungen vorläufig suspendiert wurde. Zudem habe Besseberg das Gremium informiert, bis zum Abschluss der Ermittlungen von seiner Position als Präsident zurückzutreten. Beim IBU-Kongress Anfang September in Poreč an der kroatischen Adria werden der Verbandsboss und der gesamte Vorstand neu gewählt. Besseberg kündigte Mitte März an, nicht wieder zu kandidieren – und brachte gleich Landsmann Ole Einar Björndalen, den vor einer Woche zurückgetretenen Biathlon-Evergreen, als seinen Nachfolger ins Gespräch.

Solche Strippenzieherei und das insgesamt undurchsichtige Treiben im Weltverband haben Erik Lesser bewogen, den eigenen Laden mal genau zu inspizieren. „Interviews, wie Lowell Bailey in Kontiolahti eines gegeben hat, müsste es viel öfter geben, wenn wir mit bestimmten Dingen nicht zufrieden sind“, betonte der 29-Jährige im Gespräch mit der taz. Interner Druck sei ja schön und gut, aber man könne auch nicht immer alles kleinreden. „Ich sehe es“, so Lesser, „als meine, als unsere Aufgabe in der Athletenkommission an, die Stimme zu erheben, querzudenken, so ein bisschen die Opposition zu sein.“

Bei der nun in den Fokus geratenen Führungsspitze scheint dies besonders angebracht. Der russische Kronzeuge Grigori Rodtschenkow und ein namentlich nicht genannter Informant behaupten nach einem Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde, die sich auf einen Untersuchungsbericht der Welt-Anti-Doping-Agentur bezieht, die IBU habe gedopte russische Sportler gegen Bestechungsgelder geschützt.

Erik Lessers Forderung nach mehr Transparenz in der Kommunikation und nach einem klareren Bekenntnis der IBU im Kampf gegen Doping passen da perfekt ins Bild. In einem Punkt sagt der Verfolgungsweltmeister von 2015 seinem vergleichsweise kleinen Verband sogar ähnliche Probleme nach wie der mächtigen Fifa. „Wenn man sich anschaut“, sinniert Lesser, „wie eine WM-Vergabe im Biathlon mittlerweile abläuft, wer letztlich gewählt wurde oder wie oft eine Nation innerhalb von zwei Dekaden eine WM bekommt, könnte man vermuten, dass das nicht immer ganz demokratisch abläuft.“

Andreas Morbach