sportplatz
: Mit eiserner Faust für die Klasse

Beim 1. FC Union bündeln sich alle Kräfte, damit eine verkorkste keine katastrophale Saison wird. Das 1:1 gegen Heidenheim war noch keine Entwarnung

Im Köpenicker Fußball-Dreikneipeneck Hauptmann – Abseitsfalle –Union-Tanke war am Sonnabendmittag alles sonnig. Bestes Wetter, beste Stimmung. Zumal es vor dem Spiel gegen Heidenheim was umsonst gab: Vor dem Stadion An der Alten Försterei wurden knallrote Trikots verschenkt. Aufschrift: „Gib niemals auf und glaub an dich!“ Dazu eine gereckte Faust, proletarisch, trotzig, einig im Kampf für die Spielklasse. Denn der Zweitligastatus wackelt trotz des Auswärtssiegs in St. Pauli immer noch.

Natürlich ist die Faust auch Mahnung an die Tradition des Arbeitervereins, der Union nach dem rapiden Mitgliederaufschwung in der jüngeren Vergangenheit ja längst nicht mehr ist. Gleichwohl ist er immer noch ein Verein, der im Lokalen verwurzelt ist und dessen Fans meist keine sogenannten Eventies sind. Was man an aufgeschnappten Sätzen aus der zum Stadion anmarschierenden Menge hört. Ältere Frau zum älteren Begleiter: „Warste eigentlich schon uffn Friedhof Blumen gießen?“ Keine Hipsterironie auf ­Unions Trauerspiel der letzten Monate, sondern eine ernsthafte Frage aus dem realen Leben neben dem Fußball.

Diese Urigkeit gehört zu Union, und das wird wohl auch noch lange so bleiben, aber Dinge ändern sich ja oft auch schleichend. Ganz oben am Tribünendach über den VIP-Logen hing bis zur letzten Saison noch eine Werbung: „Warte nicht bis zum Schlusspfiff – Bestattungen Oberschöneweide“. Große Reklamelyrik, passend zu Union wie das Telekom-Tüt-tüdelüt in der Münchner Allianz-Arena. Jetzt hängt an derselben Stelle der gelb-bunte Schriftzug „Evelina – geküsst von der Natur“. Apfelwerbung. Bestimmt bio und sooo gesund. Die Union-Welt war bisher immer besonders viel Bratwurst und Bier, jetzt kommt verstärkt das Gesunde.

Wenn man die Welt nicht mehr versteht, sucht man ja gern mal nach verborgenen Zeichen, die sie einem erklären. Wobei „Welt“ jetzt natürlich ein bisschen hoch gegriffen ist, Union-Welt reicht. Die ist ja irgendwie aus den Fugen geraten in dieser Saison. Erst Aufstieg im Blick, stattdessen Abstiegsgefahr, die nach dem schwachen 1:1 gegen Heidenheim (bei dem die eingewechselten Hosiner und Redondo mit einer hübschen Flanke-Kopfball-Stafette für den späten Ausgleich sorgten) rechnerisch noch nicht gebannt ist. Zum Äußersten wird es zwar mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht kommen, weil die anderen Mannschaften ebenfalls schwach sind und sich im Keller gegenseitig die Punkte abknöpfen, aber allein die Fantrikot-Aktion zeigt, wie sehr es ans Eingemachte geht.

Leistung oder Folklore?

Hat sich Union oder besser: ein Teil der Unioner, wozu die Vereinsführung gehört, mit den nach der Vorsaison offensiv verkündeten Aufstiegsambitionen verhoben? Präziser gefragt: Kann der „Spagat zwischen Leistungssportverein und Folkloreverein“, so Präsident Zingler vor einigen Wochen in einem Interview, funktionieren? Dass der Verein bestimmte gesellschaftliche Werte hochhält und sich ein Gefühl der Zufriedenheit entwickelt hat, sei toll, es sei aber auch „nicht leicht, da einfach umzuschalten, sich einzig und allein auf den sportlichen Erfolg zu fokussieren“. Offenbar haben manche Spieler ein Problem, die (unsichtbare) Hürde zwischen ­Wohlfühlatmosphäre und Leistungsatmosphäre zu überspringen. Im Klartext: Ist die eiserne Union-Regel, Frust über schlechten Fußball der Elf im Stadion kaum zu äußern und die Spieler nie auszupfeifen, so sympathisch wie für Leistungssportler kon­tra­pro­duk­tiv?

Als die Mannschaft nach dem 0:1 in Fürth unter großer Aufmunterung der Fans in die Halbzeit ging, konnte sich der Sky-Reporter kaum einkriegen über die wohltuende, sich von anderen Vereinen abhebende Art der Union-Fans. Präsident Zingler, der das gewiss genauso wohltuend findet, sieht freilich die Zweischneidigkeit der Harmonie: „Einerseits wollen wir unsere Vereins-DNA ja nicht grundlegend verändern, unter der Maxime, dass es nur noch um Erfolg und Leistung geht, andererseits aber auch konsequent unsere sportlichen Ziele verfolgen.“

Er selbst hatte in dieser Saison keine Scheu, auch einen riskanten Verbindungsweg zu gehen, indem er zusammen mit der Vereinsführung beschloss, Trainer Jens Keller trotz eines vierten Tabellenplatzes zu entlassen, weil man eine sportliche Stagnation erkannte. Dass es danach mit der hauseigenen Trainerlösung noch schlimmer wurde, ist vor allem für André Hofschneider bitter. Er dürfte sich doch irgendwie verheizt vorkommen.

Eine nicht repräsentative Fanbefragung an der Union-Tanke lässt gleichwohl keine dramatische Sorge um den Verein aufkommen. Eigentlich sei es wie immer, sprich: wie früher. Union und große sportliche Pläne – eine pro­ble­ma­tische Konstellation. Oder, um mal das aktuelle Fazit von Kumpel Chris, seit Jahrzehnten als Fan mittenmang, zu zitieren: „Union kann nicht Aufstieg und Union kann nicht Abstiegskampf.“ Dass das keine dramatischen Folgen haben wird, liege halt an der Konkurrenz. Richtig spannend wird es wohl erst nach Saisonende, wenn sich die Frage stellt, wie der neue Trainer heißen und der Kader dann aussehen wird. Gunnar Leue