Esther Slevogt
betrachtet das Treiben
auf Berlins Bühnen
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Für das aktuell irrste Thea­ter gibt es keine Karten zu kaufen: Was auch nicht weiter schlimm ist, denn das Drama der Volksbühne spielt sich vor aller Augen ab. Zwar ist ein Protagonist bereits von der Bühne verschwunden, Kurz-Intendant Chris Dercon nämlich. Aber damit können alle anderen Mitwirkenden an dem Desaster nun umso ungehemmter alle Schuld auf Dercon abladen. Nicht, dass der nicht selbst Mitschuld an seinem erwartbaren Untergang trüge. Denn das wusste meine Oma schon: Hochmut und Hybris kommen vor dem Fall. Und dass einer, der (wie Dercon) als Herold des Neoliberalismus gehatet wurde, schon nach einem halben Jahr sein Unternehmen in die Pleite gesteuert hat, ist natürlich auch nicht ohne Ironie. Hauptschuldige dieses Dramas ist aber die Politik: unser Regierender Bürgermeister zum Beispiel, der in Personalunion auch Kultursenator war, als er sich von seinem ehrgeizigen wie ahnungslosen Staatssekretär Tim Renner den Museumsmann Dercon als Castorf-Nachfolger einflüstern ließ. Das war in etwa so, als hätte man als Trainer für Bayern München einen Eiskunstlauf-Coach engagiert. Es war die Politik, die binnen Monaten Berlins berühmtestes und beliebtestes Theater an den Rand des Abgrunds gewirtschaftet hat. Und wir ahnen: Das Volksbühnendrama ist noch nicht zu Ende. Denn erst jetzt werden die Leichen aus den Kellern geholt, wird das (nicht zuletzt auch ungeheure finan­zielle) Ausmaß des Skandals öffentlich. Wie hier an der Öffentlichkeit vorbei ein Theater neu strukturiert werden sollte, ohne Sinn und Verstand. Dercon wird nicht der Letzte sein, der am Ende nicht mehr mitspielen darf. Die Volksbühnenaffäre hat Potenzial, die Stadtregierung wegzufegen. Speziell unser Regierender schweigt sich gerade um sein Amt.

Aber kommen wir zu Erfreulicherem: Der Theaterdiscounter,dessen Jahres­etat niedriger ist als der Betrag, der vorigen Herbst allein für Dercons eintägiges Freilicht­spektakel am Flughafen Tempelhof verballert wurde, wird 15 Jahre alt. Grund für ein Theaterfest an der Klosterstraße (wo das Theater aus einem alten Fernmeldeamt sendet). Unterschiedlichste Theater (nicht nur aus Berlin) von Schaubühne bis Schauspiel Leipzig haben aus diesem Anlass Geschenke geschickt, in Form von „Songs, Szenen aus ihren Inszenierungen, Couplets, Ständchen und humoristisch verpackten Ermahnungen für den rasant Adoleszierenden und seine wilden Freunde“, wie es auf der TD-Webseite heißt. Ehrengast und Festredner ist übrigens Kultursenator Klaus Lederer (Theaterdiscounter: „Der TD feiert 15. – Partynacht mit Werkschauen, Musik und Gästen“, 20. 4. ab 20 Uhr).