Die Wahrheit: Huck und Tom auf großer Fahrt

Nicht alle Menschen warten darauf, in dieser Welt gerettet zu werden. Schon gar nicht, wenn sie sich zu Tode langeweilen.

Da, eine Hundehütte! Das gibt 20 Punkte!“ – „Unfug, zehn Punkte, und damit bist du gut bedient!“ – „Zehn lausige Punkte? Du hast für dein Dixieklo 50 gekriegt!“ – „Okay: 15 Punkte, aber dann ist auch gut!“

Es hatte tagelang geschüttet, nun strahlte die Frühlingssonne wieder. Der Fluss aber war noch eine braune Brühe, und ich stand mit Raimund und Mick auf der Mensabrücke und schaute zu, was unter uns vorbeitrieb. Raimund hatte ein Spiel erfunden: Wer die schönsten Treibgutstücke zuerst erspähte, bekam Punkte. Und natürlich würde er gewinnen – schon allein, weil er bestimmte, wie viel Punkte es wofür gab, und weil er mit dem Dixieklo uneinholbar vorne lag.

Jetzt aber schien er überzuschnappen. „Ha! Huck und Tom auf großer Fahrt! 500 Punkte!“, johlte er. Als ich jedoch das Weidengestrüpp, auf das er zeigte, genauer fixierte, sah ich, dass sich darin ein großes hölzernes Bett verfangen hatte, in dem zwei alte Herren saßen.

„Ach, du meine Güte!“, sagte Mick, „anscheinend ist der Damm am Altenheim ,Hubertusfrieden' doch noch gebrochen. Los, wir müssen ihnen helfen. Und ruf sofort die Feuerwehr!“

Wir rannten hinüber. Das Bett war ein Stück weiter getrieben, zum Glück aber gleich wieder an einem halb versunkenen Bauwagen hängengeblieben. „Was ist mit der Feuerwehr?“, rief Mick. „Ist unterwegs!“, erwiderte Raimund. Vom Heulen der Martinshörner aber hörte man nichts, und weil die Herren sich so unbeholfen vom Bauwagen abstießen, dass sie wieder in die Strömung hinausgezogen zu werden drohten, sprang Mick zu einer der Notfallboxen, die überall in Flussnähe standen, warf sich den Rettungsring über, knotete das daran hängende Seil an einen Baum und lief zum Wasser.

„Du wirst dich umbringen!“, rief ich. „Quatsch!“, gab er zurück: „Ich hab anno 86 beim Mordsee-Rettungsschwimmer-Cup auf Hallig Hooge die Silbermedaille gewonnen, und wer der Nordsee widerstanden hat, den wird dieses Flüsschen nicht killen!“ Er erreichte das Bett mit ein paar kräftigen Zügen und band das Seil fest. „Los, Jungs, zieht!“, wies er uns an.

„Alles klar!“, rief ich und fand es zunächst unerklärlich, dass die alten Männer so was wie „Lasst das, ihr Mistkerle! Verpisst euch!“ schrien. Plötzlich aber wurde mir klar: Sie trieben gar nicht gegen ihren Willen den Fluss hinunter, sie gerieten nicht unbeabsichtigt wieder und wieder in die Strömung – sie hatten das Hochwasser schlicht genutzt, um mit dem Bett aus „Haus Hubertusfrieden“ zu fliehen!

Da jedoch war es zu spät. Der Feuerwehrtrupp war eingetroffen, zog das Bett und seine Passagiere mithilfe unseres Seils ans Ufer, und während uns eine Radioreporterin „Helden“ nannte, riefen Huck und Tom: „Hundert Jahre sollt ihr im ‚Hubertusfrieden‘ vergammeln, zerkochten Blumenkohl essen, euch beim Bingo zu Tode langweilen und vergebens von einer letzten großen Party auf einer kleinen Karibikinsel träumen!“

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Joachim Schulz wurde 1963 an der Nordseeküste geboren und in Regen, Wind und Nebel großgezogen. Er lebt mittlerweile in einer kleinen Welt in der hessischen Provinz, wo unablässig die großen Fragen des Lebens erörtert werden, und ist seit 1996 im Einsatz für Die Wahrheit.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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