berliner szenen
: Bazillieren die Haltestangen voll

Ich rufe meine Mutter an. „Hallo Mami“, flöte ich in den Hörer. „Wie geht es dir?“

„Nich gut“, näselt ihre Stimme aus dem Hörer heraus. „Ick hab die Grippe!“

„Ach herrje!“, seufze ich und versuche, meiner Stimme den angemessenen Grabesklang zu verleihen.

Es wird ja gemeinhin immer so viel von Männergrippe geredet. Ich sach mal so: Gegen die Streisand-Grippe ist das ein Pipifax. Wir sind alle etwas hypochondrisch bei uns in der Familie. Deswegen besuchen wir uns auch nicht gegenseitig, wenn wir krank sind. Sollen ja nicht alle auf einmal an der Pest verenden. Der Letzte muss das geistige Erbe verwalten. Und Licht ausmachen. Letztes Jahr hatten Paul und ich den Norovirus. Es hat Monate gedauert, bis meine Mutter unsere Wohnung überhaupt wieder betreten wollte. Deswegen stecken wir uns aber auch nicht alle beieinander an.

Ich hasse das ja, wenn Leute krank sind und sich nicht auskurieren. Und dann sitzen sie in der U-Bahn, bazillieren die Haltestangen voll, verseuchen auf Arbeit die Türklinken und rotzen in Bühnen- und Studiomi­krofone. Widerwärtig! Genau so entsteht die Grippewelle. Auch deswegen fahre ich so gerne Fahrrad. Da kann ich mich bei niemandem anstecken. Gut, ich erfriere wahrscheinlich, kriege Lungenkrebs von den Autoabgasen und werde früher oder später von einem Lkw überfahren. Aber zumindest sterbe ich nicht an der Streisand-Grippe.

„Ach Kindchen!“, seufzt meine Mutter.

„Arme Mami!“, seufze ich.

Liebe Leute, tut mir die Liebe und kuriert euch aus! Dann bricht das Bruttoinlandsprodukt eben ein! Na und? Hauptsache, ihr bleibt zu Hause, benutzt Taschentücher, niest in eure Armbeugen und gebt niemandem die Hand! Und wenn euch langweilig ist, ruft doch mal wieder eure Mütter an. Die freuen sich. Telefonieren ist nämlich nicht ansteckend. Lea Streisand