Kulturdenker: Zum Tod von Ekkehart Krippendorff

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„Internationale Politik“, „Friedensforschung“. Wegen Büchern wie diesen – noch immer Standardwerke – gilt Ekkehart Krippendorff bis heute als Politikwissenschaftler. Schließlich hatte der 1934 in Eisenach Geborene 1959 bei Theodor Eschenburg promoviert. Der Mitbegründer der nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen Politikwissenschaft hatte ihn auch 1972 habilitiert, als ihm die FU Berlin dies wegen politischer Unbotmäßigkeit verwehrte. Wissenschaftsgeschichte schrieb er, als 1965 das Sommersemester an der FU nach ihm benannt wurde. Wegen seiner politischen Aktivitäten für die linke Seite im Spandauer Volksblattverlängerte die FU seinen Job als Assistent nicht – eine Art Startschuss für die Studentenbewegung wenig später.

Viel mehr als „nur“ Politologe war Krippendorff freilich ein Universalgelehrter, linkes Urgestein und unbestechlicher Intellektueller. Was Krippendorff exemplarisch macht, war, dass er sukzessive die systematische (Politik-)Wissenschaft zugunsten der Kultur aufgab, weil diese ihm welterklärender schien. Von dieser Skepsis an seinem eigenen Fach zeugten schon Titel wie „Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft“ (1985) oder, noch deutlicher: „Wie die Großen mit den Menschen spielen. Goethes Politik“ (1988). Zu großer Form lief der späte Kulturwissenschaftler mit zwei Bänden auf, in denen er Shakespeares Dramen und Komödien als Blaupausen für Politik und Zivilgesellschaft las.

Wegen dieser Leidenschaft zur Kultur wurde er nach seiner Emeritierung 1999 Theaterkritiker. Oft traf man den agilen Pensionär mit seiner charakteristischen Prinz-Eisenherz-Frisur und in der abgewetzten 68er-Lederjacke in seinem Lieblingshaus, dem Berliner Ensemble: Hellwach, streitlustig, vor Ideen sprühend. Da berühren sich die Vita des Autors dieser Zeilen, selbst Politologe im Banne der kritischen Variante eines Ekke­hart Krippendorff, und dessen – höchst unterschiedlicher – Lebensweg. Hier der popsozialisierte Westlinke, da der Goethe-Fan. Beide auf der Suche nach der „Kultur des Politischen. Wege aus den Diskursen der Macht“. So hieß eines seiner letzten Werke. Als ich Krippendorff einmal erzählte, dass ich alle meine Klassik-CDs verschenkt hätte, war er hell entsetzt. Am Dienstag ist der anarchische Klassiker im Alter von 83 Jahren gestorben. Ingo Arend