Der Krankenwagen bringt Zerstörung

Über hundert Menschen sind tot. Der Anschlag vom Wochenende in Afghanistans Hauptstadt Kabul dürfte innenpolitische Spannungen anheizen und der Opposition nützen

Nach dem Anschlag vom Samstag: die zerschmetterte Glasfront eines Fotoladens in Kabul Foto: Rahmat Gul/ap

Von Thomas Ruttig

Die Attentäter von Kabul kamen in zwei Rettungswagen. Die Polizisten an der ersten Straßensperre konnten sie noch überlisten, aber am zweiten Schlagbaum wurden sie gestoppt. Dort sprengten sich die Insassen eines der Wagen am Samstag in die Luft: Nach jüngsten Informationen des Kabuler Senders Tolo TV sind inzwischen bereits 103 Menschen gestorben, die Zahl der Verletzten stand am Sonntag bei 235. Ob der andere Wagen, der laut Afghanistans Innenminister Wais Barmak keinen Sprengstoff enthielt, entkam oder ebenfalls zerstört wurde, ist nicht bekannt. Das Attentat erinnert an den schweren Anschlag an der deutschen Botschaft vom Mai 2017, bei dem die Täter ähnlich vorgegangen waren.

Die Zahl der Opfer dürfte noch weiter steigen, auch wenn – wie stets nach solchen Anschlägen – zahlreiche Kabuler Blut spenden, um Verletzte zu retten. Aber viele Krankenhäuser der Stadt sind an ihre Kapazitätsgrenze gelangt. Dazu zählen etwa das von der italienischen NGO Emergency betriebene gleichnamige Hospital, die erste Adresse in der Stadt für Notfallversorgung, sowie das nahe der Anschlagsstelle gelegene Dschumhuriat-Krankenhaus, von wo die beiden Ambulanzen auch gekommen sein sollen.

Die Taliban haben sich zu der Tat bekannt. Sie behaupten, sie hätten mehr als 90 Polizisten getötet. Zahlreiche Fotos in den Medien strafen sie jedoch Lügen: Dort sind ein Mann mit dem Kind im Kopfverband auf dem Arm zu sehen und eine junge Frau mit blutüberströmtem Gesicht, auf Twitter gepostete Fotos von Freunden unter den Opfern, darunter Ladenbesitzer und Studenten.

Auch Personal des Dschumhuriat-Krankenhauses sowie einer Geburtsklinik sind unter den Opfern. Laut Minister Barmak sind etwa 200 der Verletzten Zivilisten. Der Anschlagsort am Südende der – früher bei Touristen und noch früher bei den Afghanistan durchquerenden Hippies beliebten – Chicken Street mit ihren Antiquitäten-, Ramsch- und Teppichläden liegt in Trümmern. Das war der dritte große Anschlag in Afghanistan und der zweite in Kabul binnen einer Woche. Seit dem 28. Dezember hat es landesweit acht gegeben, mit mindestens 219 Toten. Die Taliban und der örtliche Ableger des „Islamischen Staates“ (IS) teilen sich die Verantwortung.

Viele Krankenhäuser der Stadt sindan ihre Kapazitätsgrenze gelangt

Über das eigentliche Anschlagsziel lässt sich nur spekulieren. In dem Gebiet befinden sich eine Außenstelle des afghanischen Innenministeriums, die Vertretungen der Europäischen Union, Schwedens und Indonesiens sowie Residenzen führender afghanischer Politiker.

Der Anschlag könnte aber auch ein Versuch sein, politische Spannungen weiter anzuheizen. Seit Monaten wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung darüber, dass die Regierung von Präsident Aschraf Ghani und Exekutivchef Abdullah Abdullah nicht in der Lage ist, solche Anschläge zu verhindert.

Die Opposition um Atta Mohammed Nur, den von Ghani kürzlich abgesetzten Provinzgouverneur von Balch, dessen Zentrum Masar-i-Scharif ist, hat diese Stimmung aufgegriffen. Sie will daraus politisches Kapital schlagen und an die Macht zurückkehren. Neben Nur gehören zu diesen Kritikern der frühere Präsident Hamed Karsai sowie zwei ehemalige Geheimdienstchefs, die allerdings bei der Terrorismusbekämpfung auch nicht erfolgreicher waren.