Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Eine Atmosphäre maximaler Aufgekratztheit

Die Hamburger Band Cpt. Kirk & besang in den Neunzigern – der Hochzeit dessen, was man damals etwas unglücklich Diskursrock nannte – die „Tradition beweisloser Suche nach Klarheit im politischen Lied“. Nachdem der Polit-Punk sich mehr und mehr in Richtung nervtötende Eindeutigkeit gedreschflegelt hatte, entstanden, vielleicht als Gegenreaktion, politische, aber assoziationsoffene Texte. Wenn Slime heute „Let‘s get united“ singen als wäre es 1979, dann ist das vor allem rührend.

Heute ist es noch einmal schwieriger mit dem politischen Lied, schlicht weil gefühlt alles schon gemacht und für mehr oder weniger obsolet befunden wurde. Ein möglicher Indikator für Klarheit im politischen Lied: Wenn man die Texte ausblendet, hört man oft, worum es auch oder sogar eigentlich geht. Im aktuellen Fall: Die Musik des Berliner HipHop-Duos Zugezogen Maskulin forciert eine Atmosphäre maximaler Aufgekratztheit. Die Beats sind kleinteilig und mit sachte nervigen Sounds verstrebt. Die konstante Hysterie, die vor allem der Sound der Stimme von Grim 104 suggeriert, zerdullert jede sich souverän gebende Außenperspektive. Man hört, bevor man auf das Gesagte hört, dass Selbstergriffenheit hier nicht mehr drin ist („Das Geilste ist, ich bin im Recht“, sangen beispielsweise …but alive einst allen Ernstes).

Atemlosigkeit und Enge – diese Musik entspricht der Welt, die die Texte beschreiben. Beschrieben wird hier aber auch immer wieder der, der beschreibt, gerade da, wo sich der Weltekel artikuliert. Die eigene Sozialblase ist aus den drastischen Tiraden nicht ausgenommen. Das Land habe sich in den letzten zwei Jahren grundlegend verändert, sagt Testo von Zugezogen Maskulin. „Eine gefühlte Zeitenwende.“ Die neue Platte heißt „Alle gegen Alle“ (ein Slime-Zitat übrigens). „Zersplittert in Atome / Sowas wie Gesellschaft gibt es nicht / Nur Mods & Teds und Bloods & Crips / Und du und ich!“ Gesellschaft als Konglomerat von Gangs, aber eine Gang wollen auch Zugezogen Maskulin sein („Alles in uns brennt / In euch brennt‘s, in uns brennt‘s / Ihr seid keine Fans – wir sind eine Gang“).

Zugezogen Maskulin spielen am Freitag, 12. 1., um 20 Uhr im Tower

Man hängt mit drin, man kommt nicht raus. „Let‘s get united“ im Sinne einer empathisch beschworenen Solidarität ist offenbar vorbei. Aber wahrnehmen kann man die Leerstelle immerhin noch, und das ist nicht wenig: „Und alle wie wir da sind / Tappen wir in eine Falle / Sie heißt: Alle gegen Alle gegen Alle“.