Micha Brumlik Gott und die Welt
: Alter schützt vor Torheit nicht: neue „Bekenntnisse eines Konservativen“

Nicht nur Dumpfnasen gehen den Rattenfängern von FPÖ und AfD auf den Leim – auch mancher Feingeist teilt deren Ressentiments. Zum Beispiel der langjährige Feuilletonchef der renommierten Zeit, Ulrich Greiner. Er sah sich genötigt, unter dem Titel „Heimatlos“ auf 150 Seiten „Bekenntnisse eines Konservativen“ zu verbreiten. Dabei weiß er sich nicht alleine, findet er sich doch mit „namhaften Intellektuellen wie Rüdiger Safranski und Sibylle Lewitscharoff, Martin Mosebach oder Peter Sloterdijk“ in einem Boot.

Als der wohldotierte Pensionist diese Herzensergüsse schrieb, konnte er noch nicht wissen, dass die neue Rechtsregierung in Österreich soeben einen seiner Wünsche erfüllt hat: lockerte sie doch das Rauchverbot in öffentlichen Lokalen. Seien wir doch, so die Klage, auf dem „besten Weg in eine Diktatur der Fürsorge“, die den „letzten Rauchern mit ekelerregenden Fotos die Freude vergällt“. Freilich muss es einem Intellektuellen um mehr als um schnöde Genüsse gehen, weswegen er nun das Christentum wieder entdeckt und glaubt, es leitkulturell gegen den Islam stark machen zu müssen – gegen den Islam, nicht etwa den Islamismus.

Begründet wird das mit einer antikapitalistischen Haltung: „Entweder wir berufen uns auf unser Herkommen, oder wir folgen einem Anpassungsdenken …, wie wir es von jenem global agierenden Kapitalismus kennen, dem alles gleichgültig ist, sofern nur profitabel.“ Die Berufung aufs Herkommen spricht gegen die Immigration von Muslimen: sei es doch „kein geringer Unterschied, dass die eine Religion von einem gekreuzigten Wanderprediger gegründet wurde und die andere von einem kriegsführenden Kaufmann“.

Leider eine falsche Behauptung, wurde doch das Christentum – so jedenfalls die neueste religionshistorische Forschung – nicht von Jesus, sondern von dem hellenistischen Juden Paulus gegründet. Jesus war zwar ein jüdischer Wanderprediger, aber alles andere als ein Christ. Ohne ihn zu nennen, hält sich Greiner an den französischen Philosophen René Girard, wenn er behauptet, dass der Opfertod Jesu revolutionär sei, weil er das Prinzip der Vergeltung aufgehoben habe – ein Prinzip, das in diesem Kontext nur dem Judentum zugeschrieben werden kann. Freilich hat der angebliche Religionsgründer vieles, auch Widersprüchliches verkündet: so nach dem Zeugnis des Evangelisten Matthäus 10, 34: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“ – was in dieser Schärfe noch nicht einmal der kriegsführende Kaufmann aus Mekka verkündet hat.

So fällt der Blick auf Paulus, der tatsächlich die christliche Religion gegründet hat. Paulus aber war ein Jude, der einem menschheitlichen Universalismus das Wort geredet hat: gebe es doch „nicht mehr Juden noch Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ Das könnten Sätze einer universalistischen Befreiungstheologie sein – indes beruft sich der neue Konservative lieber auf einen Philosophen, der, 1904 geboren, 1933 in die NSDAP eintrat, um bald rassistisch verfolgte Professoren zu vertreten. Greiner benötigt Arnold Gehlen, um mit ihm darauf zu beharren, dass das diesseitige Wohlergehen der Güter höchstes nicht sein könne. So schätzt er anstatt sozialer Gerechtigkeit lieber das „Ewige Leben, das Geheimnis des Glaubens“ , also Festlichkeiten und Rituale, die auf ihre Wahrheit nicht zu befragen sind.

Daher ist sogar der AfD „immerhin“ zuzubilligen, sich aus der Quelle des Christentums zu speisen, freilich: überzeugender wirkt da schon die CDU, die ein christliches Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott proklamiert. Dieses Verständnis aber darf auf keinen Fall dazu führen, an die Stelle eines individuellen Gewissens ein „Weltgewissen“ zu setzen, dessen „Kommissare“ (so viel Antibolschewismus muss im Kampf gegen „Rot-Grün“ sein) „niemanden davonkommen lassen“.

„Mein allmählich entstandener Konservativismus“, so Greiners Bekenntnis „hat sicherlich mit dem Älterwerden zu tun …“ Was bekanntlich vor Torheit nicht schützt.

Der Autor lebt in Berlin und arbeitet am Zentrum für Jüdische Studien.