Sicher in der Arktis

Kanada, Norwegen, Dänemark, Russland und die USA einigen sich auf weltweit größtes Schutzgebiet für Fische. Zumindest bis das Eis ganz schmilzt und sich Fischfang dort lohnt

Freudensprung: Der in der Arktis beheimatete Polardorsch (Boreogadus saida) ist vorerst geschützt Foto: Hinrich Bäsemann/picture alliance

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Von einem „historischen Abkommen“ schwärmt Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Søreide. Mit der Bewertung als „historisch“ wird auch in Stellungnahmen aus Moskau, Washington und Ottawa nicht gespart. Und das Eigenlob stinkt in diesem Falle nicht. Die fünf Anrainerstaaten der Arktis haben sich nämlich tatsächlich auf ein in doppelter Hinsicht bislang beispielloses Abkommen geeinigt: Noch bevor irgendwelche kommerziellen Fischfangaktivitäten auch nur begonnen haben, werden sie durch ein Moratorium komplett verboten. Und die fragliche Verbotszone wird jetzt das weltweit größte derartige Schutzgebiet.

Es geht um den zentralen Teil des Arktischen Ozeans und dort um eine Meeresfläche von 2,8 Millionen Quadratkilometer, die außerhalb der Territorialgewässer der Anrainerstaaten rund um den Nordpol liegt. Eine Fläche größer als das Mittelmeer. Noch sind weite Teile davon eisbedeckt. Aber in der Arktis schreitet die Erderwärmung fast doppelt so schnell fort wie auf dem restlichen Globus. Und als Folge dieser Entwicklung ist bereits jetzt die Hälfte dieser Meeresfläche zumindest in Teilen der Sommermonate eisfrei. Tendenz schmelzend. Kommerzieller Fischfang wird also bald möglich werden.

Doch den wird es hier nicht geben. Jedenfalls erst einmal nicht in den sechzehn Jahren, auf die sich die „Arctic Five“ Norwegen, Dänemark, Russland, die USA und Kanada mit der EU sowie den Regierungen der großen Fischfangnationen China, Japan, Südkorea und Island am vergangenen Freitag in Washington geeinigt haben. Man verpflichtet sich gegenseitig, Fischfang in den dortigen internationalen Gewässern nicht zuzulassen, um erst einmal Zeit zu haben, das Ökosystem des zentralen Arktischen Ozeans, speziell die Entwicklung der Fischbestände und die Auswirkungen des Klimawandels in aller Ruhe erforschen zu können. Man vermutet, größere Bestände des Polardorschs dort zu finden. „Doch ansonsten weiß man bislang sehr wenig“, betont David Benton, Fischfangexperte und Mitglied der US Arctic Research Commission-“.

Die ersten sechzehn Moratoriumsjahre, die sich automatisch um jeweils fünf weitere verlängern, wenn kein Vertragsstaat dagegen opponiert und so lange kein auf wissenschaftliche Erkenntnisse gegründeter Ressourcenverwaltungsplan in Kraft getreten ist, sollen auch nur ein Anfang sein, verspricht der norwegische Fischereiminister Per Sandberg: „Wir nehmen nicht an, dass es in diesem Teil des Arktischen Ozeans überhaupt kommerziellen Fischfang geben wird. Jedenfalls erst einmal nicht.“ Ein Hintertürchen ist also durchaus schon mal eingebaut, um das Moratorium in zwei Jahrzehnten vielleicht wieder anders beurteilen zu können. „Es geht nicht um ein ewiges Moratorium“, macht sich auch Trevor Taylor von der kanadischen Arktisschutzorganisation Oceans North keine Illusionen: Aber die Fischfangnationen nehmen nun erst einmal Streit mit ihrer Fischereilobby in Kauf und legen deren Flotten an die Leine.

Warum tun sie das? Weil sie offensichtlich etwas gelernt haben und nicht wollen, dass sich das Fiasko des Beringmeers wiederholt, sagt Benton. Der Arktische Ozean sei auch so eine Meeresregion außerhalb der 200-Meilen-Territorialgewässer der Küstenstaaten, in der keine Verwaltung der Meeresressourcen, wie beispielsweise Fischfangquoten, existiert. Ein solches „Regulierungsloch“ habe es in den 1980er Jahren auch zwischen den von Washington einerseits und Moskau andererseits verwalteten Fischfanggewässern im Nordpazifik gegeben. Und auf dieses Anarchie-Gebiet hätten sich dann sofort alle großen Fischereiflotten gestürzt und „unkontrolliert und auf Teufel komm raus“ den Pazifischen Pollack weggefischt. Das Resultat: Bevor man das stoppen konnte, sei „einer der weltweit größten Fischfangkollapse ein Faktum gewesen“. Über Jahre schwamm im Beringmeer kein einziger Pollack mehr. Heute haben sich die Bestände wieder erholt.

„Das Tolle am jetzigen Abkommen“, erklärt Benton gegenüber der Zeitung Anchorage Daily News: „Wir sind jetzt endlich schon mal fix und fertig, bevor das Spiel beginnen kann und potenzielle Probleme auftauchen könnten.“ Eine „entscheidende Lücke im Rahmen der internationalen Meeresregulierung wird geschlossen“, betont Karmenu Vella, EU-Kommissar für Umwelt und Fischerei: „Wir schützen damit empfindliche Meeresökosysteme für künftige Generationen“. Auch John Hocevar, Marinebiologe bei Greenpeace, lobt: „Nachdem die industrielle Fischerei die Fischbestände weltweit dezimiert hat, fischen deren Flotten nun schon in Gebieten, die einst nur von Polarforschern besucht wurden. Aber jetzt werden sie erst einmal alle gestoppt, bevor es Schaden geben kann.“

Ein Hintertürchen ist eingebaut, um das Moratorium in zwei Jahrzehnten anders beurteilen zu können

Hocevar erinnert daran, dass zeitgleich mit diesem Arktis-Abkommen auch in der Südpolarregion „ein weiterer bedeutender Schritt für den Schutz der Polargebiete“ gemacht worden ist: Es trat dort zum 1. Dezember die Vereinbarung über das Schutzgebiet im ökologisch wichtigen antarktischen Rossmeer in Kraft. Mit 1,55 Millionen Quadratkilometern das größte Meeresschutzgebiet der Welt, wenn auch Fischereinationen wie Russland und China das Abkommen beim Fischfangverbot verwässern konnten. Aber immerhin gibt es für die kommenden 35 Jahre für fast drei Viertel dieses Meeresgebiets ein absolutes Fischfangverbot. Doch Hocevar mahnt auch: Für einen seriösen Polarschutz bedürfe es mehr: die Ausweitung einzelner Reservate zu einer zusammenhängenden Schutzfläche und speziell für die Arktis ein Ölbohrverbot.

Schon 2012 hatte es einen Aufruf von rund 2.000 WissenschaftlerInnen gegeben, „die Fischerei im zentralen Arktischen Ozean auf der Grundlage fundierter wissenschaftlicher und vorsorgender Maßnahmen zu regeln und dabei mit einer Null-Fangquote zu beginnen“. 2015 unterzeichneten die Arktisanrainerstaaten in Oslo eine entsprechende Absichtserklärung und nun bekam man also auch noch die anderen führenden Fischfangnationen mit an Bord.

Jetzt müssen nur noch alle Beteiligten ihre gute Absicht ratifizieren.