Mord an einer Mutigen
Der Anschlag auf die Journalistin Daphne Caruana Galizia erinnert an Praktiken der Mafia

Daphne Caruana Galizia am 27. April 2017, auf dem Weg zum Gerichtshof von Malta Foto: Mathew Mirabelli/afp

Aus Berlin und Brüssel Eric Bonse
, Belinda Grasnick
und Christian Jakob

Sie machte vor niemandem halt: Die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia hatte die „Panama-Papers“-Recherche zur Steuerkriminalität in ihrem Land vorangetrieben und immer wieder Korruption in Regierungskreisen aufgedeckt. Am Montag starb sie nahe der Hauptstadt Valetta in ihrem fahrenden Auto, als eine darunter angebrachte Bombe explodierte. Zwei Wochen zuvor hatte Galizia sich an die Polizei gewandt, weil sie Drohungen erhalten hatte.

Galizias Blog Running Commentary hatte an guten Tagen 400.000 LeserInnen – eine sehr hohe Zahl für ein Land wie Malta mit knapp 440.000 EinwohnerInnen. Ihren letzten Beitrag veröffentlichte die Journalistin am Montagnachmittag, kurz vor der Explosion ihres Autos.

Für Aufsehen sorgte vor allem ihr Vorwurf, dass eine jener Firmen, die in den „Panama Papers“ von April 2016 erwähnt wurden, der Frau des sozialdemokratischen Regierungschefs Joseph Muscat gehöre. Nach ihren Veröffentlichungen forderten mehrere Abgeordnete Muscats Rücktritt, doch bei den vorgezogenen Neuwahlen im Juni 2017 wurde er wiedergewählt.

„Jeder weiß, dass Daphne Caruana Galizia eine meiner schärfsten Kritikerinnen war, politisch und persönlich, so wie sie es auch bei anderen war“, sagte Muscat am Montag nach dem Anschlag. Doch er verurteile „ohne Vorbehalte diesen barbarischen Anschlag auf eine Person und auf die Meinungsfreiheit in unserem Land“. Muscat kündigte an, Experten des US-amerikanischen FBI einfliegen zu lassen, um die Polizei bei der Untersuchung des Falls zu unterstützen.

„Malta hat eine Journalistin mit außergewöhnlichem Mut verloren, die in schwierigen Momenten ihre Argumente hervorgebracht hat, obwohl sie sich der Risiken bewusst war“, sagte der ehemalige maltesische Premier Lawrence Gonzi der Zeitung The Malta Independent. Die US-Zeitung Politico hatte Galizia als „one-woman WikiLeaks“ bezeichnet. Sie schrieb über von Banken unterstützte Geldwäsche (siehe Text rechts) und Verbindungen zwischen der maltesischen Online-Gaming-Branche und der Mafia. Zuletzt hatte sie sich vor allem auf die Auswertung der Panama-Papers-Dokumente zu Malta konzentriert.

Galizia hinterlässt drei Söhne und einen Ehemann. „Meine Mutter wurde getötet, weil sie wie viele starke Journalisten zwischen dem Gesetz und jenen, die es missbrauchen wollen, stand“, schrieb ihr Sohn Matthew Caruana Galizia am Dienstag auf Face­book. Matthew Caruana Galizia arbeitet als Entwickler für das internationale Recherchenetzwerk ICIJ, das die Panama Papers enthüllt hatte.

Laut dem britischen Guardian bat Galizias Familie darum, die zuständige Untersuchungsrichterin Consuelo Scerri Herrera zu ersetzen. Sie hätten „kein Vertrauen“ in Scerri Herrera, weil diese zuvor im Blog der Journalistin kritisiert worden war.

In Brüssel schlug der Mord an Galizia hohe Wellen. Auf Einladung des EU-Parlaments hatte sie im Frühjahr im Untersuchungsausschuss zum Panama-Geldwäscheskandal ausgesagt. Die Bloggerin habe mit ihren Enthüllungen „eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung schwerwiegender Vorwürfe zu Geldwäsche und Korruption in Malta, einschließlich Anschuldigungen gegen hochrangige Mitglieder der maltesischen Regierung“, gespielt, sagte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Ihr gewaltsamer Tod erinnere „an das Italien der 80er Jahre oder an das Russland unter Putin“, fügte er hinzu. Europa habe „lange weggeguckt“, auch die EU-Kommission sei den Vorwürfen nicht nachgegangen. Eine Anfrage der Grünen habe die Brüsseler Behörde seit vier Monaten nicht beantwortet.

Die Geldwäsche-Insel

Seit Langem ist bekannt, dass Korruption und Geldwäsche in Malta ein großes Problem sind. Die Enthüllungen in den Panama Papers gaben den Vorwürfen eine neue, internationale Dimension. Doch als sie ans Licht kamen, hatte Malta gerade den sechsmonatigen rotierenden EU-Vorsitz inne. In Brüssel hatte kaum jemand ein Interesse daran, Premier Muscat in dieser wichtigen Rolle zu stören. Rückendeckung bekam Muscat auch von den europäischen Sozialdemokraten, denen seine Partit Laburista (PL) selbst angehört.

Kein Schutz

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hat scharf kritisiert, dass Galizia nicht geschützt wurde, obwohl sie Todesdrohungen erhalten hatte. Es sei „schockierend“, dass in einem EU-Staat eine Journalistin ermordet werde, die politische Korruption aufdeckt, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Keine Rücksicht

Malta müsse „glaubwürdige und unabhängige“ Ermittlungen garantieren, so Mihr. Die Verantwortlichen müssten „schnell und ohne politische Rücksichten bestraft werden, damit auf Malta kein Klima der Straflosigkeit und Einschüchterung entsteht“.

Bei einer Anhörung im Europaparlament Mitte Juni, die die konservative EVP-Fraktion angesetzt hatte, wies Muscat alle Vorwürfe mit einem breiten Grinsen zurück. Die Vorwürfe gegen seine Frau seien erstunken und erlogen, behauptete er. Die Abgeordneten seien „Fake News“ aufgesessen, sagte er.

Doch Konservative und Grüne ließen nicht locker. Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion, fragte, warum Muscat einen Minister in seiner Regierung dulde, dessen Name in den Panama Papers auftaucht. Gemeint war Tourismusminister Konrad Mizzi. Er soll, genau wie Muscats Kabinettschef Keith Schembri, Offshore-Firmen in Panama gegründet haben. Der Grüne Giegold verweist zudem auf geleakte Berichte der maltesischen „Financial Intelligence Analysis Unit“, in denen Schembri der Korruption beschuldigt werde. Die Polizei auf Malta habe jedoch keine Ermittlungen aufgenommen.

All das kommt nun wieder hoch, denn im letzten Post vor ihrem Tod erhebt Galizia erneut schwere Vorwürfe gegen Schembri. „Der Gauner Schembri war heute vor Gericht und hat behauptet, kein Gauner zu sein“, so der Titel ihres letzten Eintrags. „Wo du auch hinschaust“, schloss der Text, „überall sind Gauner. Die Lage ist hoffnungslos.“

Immerhin gibt es nun die Hoffnung, dass die EU doch noch einmal genauer hinschaut. Parlamentspräsident Antonio Tajani, ein konservativer Italiener, würdigte Galizia als „tragisches Beispiel einer Journalistin, die ihr Leben geopfert hat, um die Wahrheit ans Licht zu bringen“. Auch die EU-Kommission bricht ihr Schweigen. „Präsident Juncker und die Kommission verurteilen diesen Anschlag mit den schärfstmöglichen Worten“, sagte Sprecher Margaritis Schinas. Am größten ist das Entsetzen im EU-Parlament, wo Galizia ein willkommener Gast war. Am Mittwoch will der Panama-Ausschuss über seinen Abschlussbericht abstimmen. Dann dürften auch die Vorwürfe gegen Malta und dessen Premier Muscat wieder zur Sprache kommen.