Türkei
: Alles andere als normal

Die Stimme aus dem Ausland

von Ali Celikkan ehemals „Cumhuriyet“

Unter normalen Umständen wäre die Frage, wer die Wahlen in einem als stabil geltenden Land wie Deutschland gewinnt, kein Thema, das in der Türkei die Zeitungen füllt. Ebenso wenig wie die Fragen, mit wem Angela Merkel in ihrer so gut wie sicheren vierten Amtsperiode eine Koalition eingeht, welche Kleinpartei an der Fünfprozenthürde scheitert, was das für die Türkei bedeutet.

Aber gerade ist nichts normal. Während die türkische Opposition befürchtet, dass die EU unter Federführung Deutschlands der Türkei den Rücken kehrt, erwecken die Aussagen deutscher Politiker über die Türkei bei der Regierung große Wut. Das TV-Duell vom vergangenen Sonntag hat abermals gezeigt, dass die Türkei im Wahlkampf ein wichtiges Thema ist. Ob Schulz’ Vorschlag, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei zu beenden, nach der Wahl auf den Tisch kommt oder nicht: Unter den aktuellen Bedingungen ist eine gute Beziehung mit der Türkei nicht möglich – egal, wer gewählt wird.

Es heißt, man könne es sich nicht mehr leisten, der Türkei gegenüber passiv zu bleiben, wenn deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen festgehalten werden. Aber hat wirklich jemand erwartet, dass die „neue Türkei“ angesichts der letzten Äußerungen still schweigt? Hat sich Deutschland vor dem Referendum in der Türkei 2016 nicht eingemischt?

Trotzdem scheinen einige über die letzten Vorkommnisse leisen Stolz zu verspüren. Burhan Kuzu, Professor für Verfassungsrecht (!) und AKP-Abgeordneter, twitterte: „Wenn in einer zweistündigen Sendung in Deutschland, im TV-Duell zwischen Merkel und Schulz, 30 Minuten lang über die Türkei geredet wird, soll niemand mehr an der Größe der Türkei zweifeln.“ Die Reaktion des Außenministers, Mevlüt Çavuşoğlu, überraschte niemanden: „Hat Deutschland keine anderen zu diskutierenden Themen? Europa kehrt wieder zu seinen Werten vor dem Zweiten Weltkrieg zurück . . .“

Die regierungsnahen Zeitungen hatten endlich wieder Gelegenheit, die Bilder von Angela Merkel mit Hitlerbart zu verwenden. Erdoğans Äußerung nach seinem Freitagsgebet, dass „Türkeifeinde keine Stimmen erhalten“ sollen, ist noch allen gut im Gedächtnis. Merkel ist ein Nazi, Martin Schulz ein „niveauloser Flegel“ und Cem Özdemir ein „niederträchtiger Landesverräter“.

Unter diesen Umständen wird es schwer sein, die Wahlen in Deutschland unabhängig von den Kampfansagen und oberpeinlichen Äußerungen der AKP-Regierung zu betrachten.

Man kann sich nur wünschen, dass die nächste deutsche Regierung eine aufrichtige und wirksame Türkeipolitik betreiben wird.

Übersetzung: Elisabeth Kimmerle, Ebru Tașdemir