Berliner Szenen
: Schneemann & Schneider

Keine Ätschn

Langsam wird mir diese Schneemann-Sache unheimlich

Es ist Sonntag, und am Sonntag gibt es unumstößliche Rituale, wie beispielsweise nicht um 8 Uhr aufstehen zu müssen und darauf zu warten, bis etwas angerobbt kommt. Dieses Etwas heißt Fup und es raunt mir „Kaukau“ ins Ohr. Ich stehe auf, gehe in die Küche und mache Fup einen „Kaukau“. Dann will er vorgelesen bekommen, und zwar Mark Twains „Tom Sawyer“.

Leider muss ich auf Seite 76 einsehen, dass es nichts für Fup ist, der bis hierher tapfer zugehört hat. Nicht weil Fup noch ein paar Jahre zu jung ist, sondern weil es ein Erwachsenenbuch ist, bei dessen Lektüre die Erwachsenen sich wehmütig daran erinnern, was sie als Kinder alles verpasst haben, und zwar nicht, weil es sich um eine andere Zeit handelte. Auf Seite 76 ist jedenfalls noch nichts passiert – stolze Leistung, dass Fup so lange bei der Stange geblieben ist. Nach einer Kissenschlacht, einem weiteren Sonntagsritual, mache ich Frühstück. Fup geht in sein Zimmer. Er sitzt in seinem Zelt, wähnt sich unbeobachtet, aber Big Father is watching him: „Junge und Mädchen“, höre ich Fup sagen, das scheint die Grundkonstellation zu sein. „Komm, lass uns einen Schneemann bauen, sagt das Mädchen…“ – Schneemann? Mitten im Sommer? – „Oh, was für ein hübscher Schneemann, sagt der Junge.“ – Ich verstehe überhaupt nichts. – „Lass uns noch einen Schneemann bauen.“

Langsam wird mir die Sache unheimlich und ich sage: „Komm, frühstücken.“ Dann überlegen wir, was wir an einem verregneten Sonntag unternehmen könnten. Ich schlage vor, in den Film zu gehen: „Geht der Mond zum Schneider“, der in der Sternwarte gezeigt wird. „Was?“, sagt Fup entgeistert, „da kommt der Mond zu so ’nem Scheiß-Schneider? So was Ödes. Da komm ich nicht mit. Da gibt’s ja überhaupt keine Ätschn.“ Und ich hatte mir schon Sorgen wegen des Schneemanndialogs gemacht. Klaus Bittermann