Zurück an den Lake Constance in Southern Germany
: Ein Fön namens Luftdusche

Ausgehen und Rumstehen

von Donna Schons

Das Wochenende beginnt nach einer Seilbahnfahrt über das Wuhletal inmitten der Gärten der Welt. Anlässlich der Internationalen Gartenausstellung hat die Künstlerin Seraphina Lenz gemeinsam mit den Anwohnern von Marzahn-Hellersdorf ein performatives DDR-Museum auf Rädern geschaffen. Zwischen Rosenbeeten und WBS-70-Plattenbauten präsentieren Frauen und Männer in beigefarbenen Anzügen und prilblumenbedruckten Kittelkleidern auf Rollbrettern montierte DDR-Relikte. Buratino, der Pinocchio des Ostens, ist mit dabei, ein Fön, der damals noch Luftdusche hieß, und eine besonders langlebige Filterkaffeemaschine. Anekdoten zu den einzelnen Gegenständen werden geteilt, historische Daten im Chor rezitiert und die Identität des eigenen Stadtteils im Kontext von Meinungsfreiheit und Westschokolade neu verortet.

„Ja zu Longboards und Club Mate“, fordern die Performer energetisch, nachdem sie eine verzerrte Version des Geier-Sturzflug-Songs „Bruttosozialprodukt“ anstimmen und Shakespeares Ophelia zitieren, die ihr Gefängnis anzündet und die Uhr aus ihrer Brust herausgräbt. Am Ende der Darbietung steht ein Gespräch mit den Zuschauern zwischen Picknickdecken und Prosecco, das ich leider bald schon wieder verlassen muss. Es ist ein besonderes Wochenende, mein letztes in Berlin für eine ganze Weile, und alles will zum letzten Mal erlebt werden.

Zuerst will ich jetzt aber zum allerersten Mal Chris Kraus erleben, die sich beim Sommerfest von Matthes & Seitz mit dem Kulturtheoretiker Philipp Felsch über „I Love Dick“ unterhält. In dem leider viel zu kurzen Dialog betont sie, dass es in ihrem Roman keinesfalls ums Scheitern geht, sondern um eine ungeschönt realistische Wiedergabe weiblichen Handelns. Sie erklärt darauf aufbauend auch gleich lapidar, wie man eine lustige Szene zu Papier bringt: Einfach alles reinpacken, was passiert. Als Freundin symbolträchtiger Klammerschließungen entscheide ich anschließend, dass die Nacht dort enden soll, wo der erste Tag vor drei Jahren begann, in einem verwinkelten und düsteren Schuppen in Mitte. Jedem Ende wohnt ein Zauber inne, und so kommen alle Freunde mit, selbst die chronisch partyfaulen und mittellosen. Zwischendurch verliert man sich zwischen Disco-House und Hardcore-Techno, trifft dann aber doch immer wieder schweißüberströmt am Rande des Pools zusammen. Heute Abend hängt hier ein kleines Trapez, von dem aus in regelmäßigen Abständen nackte Körper mit beeindruckender Eleganz ins Wasser gleiten. Ich bleibe, bis die Sonne durch die Luke ins Glasdach scheint, dann laufe ich den fast einstündigen Weg nach Hause. Ich laufe viel an diesem Wochenende, will vor der Rückkehr in die Provinz noch einmal das Privileg genießen, jeden Tag neue Straßen zu entdecken.

Nach kurzem Schlaf folgt ein Sektfrühstück in pinkem Neonlicht, das sich bis in den Nachmittag ausdehnt. Von dort aus geht es zu Sandy Brown, wo Kamilla Bischof Ölkreiden und Acrylfarben zu wunderbaren figurativen Gemälden zusammenfließen lässt, und zu Gillmeier Rech, wo Lisa Holzer Bilderrahmen und Galerietoilette mit geronnenem Polyurethan zum Weinen bringt. „Was haben Partys mit Regression zu tun?“, fragt Holzer in ihrem Ausstellungstext, und ich erinnere mich mit einem übernächtigten Lächeln an die befreiende Entrücktheit des gestrigen Abends.

Das Wochenende endet nach einer neunstündigen Zugfahrt am Ufer des Bodensees. „It’s the biggest lake in Germany“, diesen Satz habe ich in den letzten Tagen oft wiederholt, um meinen ausländischen Freunden zu erklären, wohin ich denn eigentlich zurückkehre, und trotzdem bin ich wieder einmal überwältigt von den blauen Weiten, hinter denen sich am anderen Ufer die Schweizer Alpen aufbäumen. In einigen Wochen werden J. und N. hierherkommen, um „Faserland“ zu spielen. Ich denke an die beiden und an alle anderen, an Chris Kraus, an die volltätowierten Wochenendhedonisten, mit denen ich die Tanzfläche geteilt habe – und finde dabei partout keinen Schlusssatz, der nicht viel zu hoffnungslos kitschig ist für eine Wochenendkolumne.