LeserInnenbriefe
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Behinderte sind keine Kranken

betr.: „Der Vorfall“, taz vom 19. 7. 17

Viele Beiträge der taz über Menschen mit Behinderung und Inklusion finde ich gut, die vier Texte von Frédérik Valin in der Serie „Sich kümmern“ gehören nicht dazu. Er bezeichnet sich selbst als „Pfleger“ – ein Begriff, der seit den 1970er Jahren in der Behindertenhilfe nicht mehr verwendet wird. Denn es setzte sich doch tatsächlich die Erkenntnis durch, dass Menschen mit Behinderung keine „Kranken“ sind, die vor allem „Pflege“ brauchen. Wie Valin in diesen vier Beiträgen behinderte Menschen beschreibt und mit ihnen umgeht, das klingt sehr unprofessionell. Er macht eher sich selbst interessant als die Menschen, denen er assistieren soll und für deren Unterstützung und Begleitung er bezahlt wird.

Auf der Homepage des Verbrecherverlags, in dem Valins Buch „Randgruppenmitglied“ erschienen ist, erfahren wir, dass er deutsche Literatur und Romanistik studierte, bevor er begann, als freier Autor und Kulturveranstalter seinen Unterhalt zu verdienen. Offenbar muss er sich in der Behindertenhilfe etwas dazuverdienen und nutzt diese Erfahrung, um Texte zu zimmern, die ziemlich haltlos sind.

Ein Beitrag ist ausschließlich dem Ekel in der Arbeit mit „geistig Behinderten“ gewidmet, als sei es ein ganz spezielles Merkmal dieser „Randgruppe“, eklig zu sein. Aussehen und Verhalten behinderter Menschen beschreibt Valin gern drastisch und monströs. So ist Kalle in einem Beitrag „20 Zentimeter größer“ als Valin, der mit ihm ins Kino geht. Kalle steht „aufgrund seiner Fähigkeiten auf der Stufe eines Sechs- bis Achtjährigen“, wie alt er tatsächlich ist, wird aber nicht gesagt. Er hat Hände „riesengroß und warm, wie ein Kuhfladen“ und steht „in Hochwasserhosen“ – warum hat Valin ihm keine passende Hose angezogen? – auf der Straße, als er einen Anfall hat. Die Idee, die Polizei zu rufen, verwirft der Autor, denn die schießt Kalle vielleicht in den Oberschenkel, dass das Blut bis nach Leipzig hinunterfließt … War Valin mit Kalle in einem Horrorfilm? Sein Menschenbild und Berufsverständnis gehören der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts an. Valin glaubt, dass er von Menschen mit geistiger Behinderung nur als Funktion wahrgenommen wird, die das Essen und die Medikamente bringt. Auch wenn der Autor „seine Bewohner alle toll findet“ – er diskriminiert sie ganz massiv. MARLENE BROECKERS, Mühltal

Die Eisberge der Bischöfe

betr.: „Jetzt wird es endlich geglaubt“, taz vom 19. 7. 17

Mehr als doppelt so viel Gewalt- und Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen als zunächst erwartet – und der Bruder „unseres“ Papstes sowie andere Bischöfe mittenmang. Dabei ist dies ja nur die Spitze eines von vielen Eisbergen (nur ein weiteres Beispiel: die Bischöfe in den USA). Wo ist der Unterschied zu den Vorgängen in der Odenwaldschule?

In Regensburg wurde von Zölibatären und/oder Sadisten die Fassade spirituell-musischer Weltkultur (!) gepflegt und genutzt zum Verstecken brutalster Triebbefriedigung. Blicke in die Geschichte lehren uns zudem, dass dies schon seit Jahrhunderten so läuft. Die katholische Kirche muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht eine potenzielle Verbrecherorganisation ist. Literatur? Karlheinz Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“. ALBBRECHT THÖNE, Schwalmstadt

Er ist Antimilitarist, kein Terrorist!

betr.: „Warum erst jetzt?“, taz vom 22. 7. 17

Der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner wurde in der Türkei wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet und sitzt in Untersuchungshaft. Ich kenne Peter Steudtner aus einem Fotoworkshop; er begeisterte damals durch eine Fotoaktion mit Jugendlichen in Mozambique und er berichtete über seine Arbeit mit ehemaligen Kindersoldaten.

Es ist total absurd, ihm, dem Pazifisten und Antimilitaristen, jetzt Terrorismus vorzuwerfen! Die Begründung ist so lächerlich, dass man der Türkei empfehlen möchte, zur Vermeidung der Lächerlichkeit auf jedwede Begründung für Verhaftungen zukünftig zu verzichten. JÜRGEN FIEGE, Bremen

„Ich glaube, das reicht langsam“

betr.: „Das ist ein Dolchstoß für das Grundgesetz“, taz vom 8. 7. 17

Der Mann auf dem Gehsteig stöhnte. Ein Beamter trat ihm kräftig in die Seite. „Das nächste Mal macht der Platz!“, sagte er. „Ich glaube, das reicht langsam“, grinste der Zugführer. Der Mann auf dem Gehsteig hustete. Ein zweiter Beamter trat ihm ins Gesicht, der Kiefer brach. „Der brüllt vorläufig nicht mehr `Bullenschweine´!“, sagte er. „Jetzt ist’s aber genug!“, mahnte der Zugführer. Der Mann auf dem Gehsteig röchelte, Blut lief ihm aus Mund und Nase. Der dritte Beamte sprang ihm mit beiden Füßen in die Geschlechtsteile. „Wir wollen doch nicht, dass sich das Pack fortpflanzt!“, scherzte er. „Schluss damit!“, forderte der Zugführer und schaute betroffen.

Der Mann am Boden hatte das Bewusstsein verloren. Da rollte ihn der vierte Beamte vom Gehsteig, drehte ihn auf den Bauch und legte sein Gesicht mit geöffnetem Mund auf die Bordsteinkante. „Kommt, ein Mal wie früher …!“, rief er enthusiastisch. Da verlor der Zugführer die Fassung, schrie: „Genug ist genug! Reißt euch zusammen, Männer! Wir sind doch keine Faschisten!“, kehrte seinen Leuten den Rücken zu und marschierte voraus. Der vierte Beamte fluchte leise vor sich hin. Dann setzte der Trupp sich wieder in Bewegung. Der Mann auf der Bordsteinkante träumte von einem anderen Land. ANDREAS JÄKEL, Duisburg