Berliner Luft
: Bürger im Bötchen

die Berlin-parlamentskolumne

von Anja Maier

Es ist nicht so, dass der Wähler nicht den Weg nach Berlin finden würde. Herr R. zum Beispiel hat sich mit seinem Bötchen von Magdeburg aus in Richtung Hauptstadt aufgemacht. Und da liegt er nun am Spreeufer, in bester Innenstadtlage – gegenüber dem Bundespresseamt, den Reichstag und das Kanzleramt stets in Sichtweite. Man muss den Gegner schließlich im Blick behalten.

Und damit ihn auch der Gegner im Blick behält, hat Herr R. sein Bötchen ein bisschen aufgehübscht. Neben der Sachsen-Anhalt-Fahne, die am Heck flattert, kleben an der Bordwand große AfD-Embleme, am Bug steht in Schwarz-Rot-Gold „Keine illegalen Einwanderer. Kein Doppelpaß. Kein Bodenrecht“.

Hä? So viele Fragen an Herrn R. Einfach mal vorbeischauen. Und da ist er schon: Mitte siebzig, weißes Haar, Schirmmütze, Schnellsprecher. Ganz munterer Typ eigentlich.

Herr R., was machen Sie die ganze Zeit mitten im Regierungsviertel? Sportboote dürfen hier doch maximal 24 Stunden liegen. Antwort R.: Wahlwerbung, ob man das nicht sehe.

Aha. Sind Sie Mitglied der AfD? – Nein, sagt Herr R., die hätten ihn nicht genommen, er sei denen zu rechts gewesen. Aber er wolle sie wenigstens unterstützen.

So so, interessant.

Es folgt eine ziemlich wirre, im Stakkato vorgetragene Beschreibung seiner Situation. Herr R. erzählt von einem Unfall, auch von einem nächtlichen Besuch des Staatsschutzes. Die hätten ihm seine Waffe weggenommen, eine Schreckschusspistole. Und jetzt bleibe er hier, bis er vom Amtsgericht seine Waffe wiederbekomme.

Oh, eine Waffe, ja?

Jetzt wird Herr R. aber ärgerlich. Wie man so dumme Fragen stellen könne, er müsse sich schließlich verteidigen. Wer man überhaupt genau sei? Vor dem Überfall sei seine Waffe ja nicht geladen gewesen. Seit dem Überfall (13 Mann!) auf ihn, den politisch arbeitenden Bürger, sei sie es nun sehr wohl.

Herr R. wird immer lauter. Es wird Zeit, hier wegzukommen. Nicht dass er noch seine Waffe, also die geladene … Adieu, Herr R.!

Erst mal runterkommen.

Dann die Polizei anrufen. Freundliche Beamtin am anderen Ende. Schildern, was los ist. Ein bewaffneter Mann im Regierungsviertel.

Ja, da sei was gewesen, erinnert sich die Polizistin. Sie werde mal eine Streife vorbeischicken.

Ausatmen: Jemand Kompetentes kümmert sich. Gutes Gefühl.

Das war am Mittwoch. Am Freitag war Herr R. immer noch da.