Glauben Ist der Genuss von Fleisch anti-feministisch? Christine Ott untersucht Mythen, die unseren Geschmack beeinflussen – von Rousseau bis heute
: „Teurer Wein schmeckt uns besser“

Der Herr sende seinen Geist herab auf dieses Ei Foto: Peter Orevi/plainpicture

Interview Jörn Kabisch

taz.am wochenende: Frau Ott, Sie haben ein Buch über Mythen der Esskultur geschrieben. Welche Art von Mythen meinen Sie?

Christine Ott: Ich verstehe darunter unreflektierte Auffassungen über das Essen, zum Beispiel über den Zusammenhang zwischen „Nationalcharakter“ und Essgewohnheiten. Oder über einen unmittelbaren Einfluss, den eine bestimmte Ernährungsweise auf ein Individuum haben soll.

Gibt es noch immer so viele Mythen, trotz unseres aufgeklärten Zeitalters?

Es gibt auf jeden Fall erstaunlich langlebige Mythen. Ich habe dafür vor allem die Literatur und die Kulturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert untersucht.

Unser Geschmack wird also von etwas kulturell Unterbe­wusstem bestimmt, neben dem, was wir tatsächlich schmecken?

Ja. Nicht nur die Art, wie wir Essen bewerten und darüber reden – auch im Geschmacksempfinden sind wir sicher von Mythen beeinflusst. Wenn ich einen Wein im Urlaub in Italien trinke, schmeckt er besser. Und wahrscheinlich wird ein Wein, der ein bisschen teurer ist, noch besser schmecken. Mein Buch ist nicht zuletzt ein Versuch, die heute so erfolgreichen Ansätze der Ernährungswissenschaft infrage zu stellen. Die auch immer wieder entkräftet werden, weil es immer neue Theorien zu gesundem Essen oder zu gefährlichen Auswirkungen bestimmter Lebensmittel gibt.

Das Essen wird inzwischen so überhöht, dass man sagen kann: Am besseren Essen soll die Welt genesen.

Ich finde nicht verkehrt, wenn sich immer mehr Menschen der Auswirkungen ihrer Ernährung auf die Umwelt, das Tierwohl, soziale Bedingungen und fairen Handel bewusst werden und das im Auge haben. Das Problem ist, dass auch heutzutage noch allzu leichte Muster und Lösungen angeboten werden. Nehmen wir zum Beispiel die vegane oder auch die Paleo-Ernährung. Beide operieren mit einem schwierigen, unhinterfragten Naturbegriff. Sie sagen, es sei natürlich, sich so zu ernähren. Die einen gehen dafür in die Steinzeit zurück, die anderen argumentieren mit der angeblich besseren Verdaulichkeit.

Es gibt also auch einen Mythos der natürlichen Ernährung?

Die Auffassung von Natur ist immer ein kulturelles Konstrukt und dem Wandel unterworfen, genauso wie der menschliche Körper, der sich auch bestimmten Entwicklungen angepasst hat.

Sie zitieren als Vordenker dieser Ideologie immer wieder den französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau, den viele für den Satz „Zurück zur Natur“ kennen.

Besonders wenn man seine Autobiografie liest, merkt man, dass die Idee des naturnahen Essens ein Thema ist, das ihm persönlich ganz viel bedeutet. Es beginnt mit seiner Kritik daran, Säuglinge bei einer Amme abzugeben. Für ihn ist die Muttermilch die natürlichste Nahrung. Die kindliche Neigung zu Gemüse, Süßspeisen, Milchprodukten – diesen einfachen Geschmack gilt es so lange wie möglich zu bewahren. Die Milch ist bei Rousseau ohnehin unheimlich aufgeladen. Das ist ein Symbol der Unschuld, Reinheit, der Sanftmut, alles Eigenschaften, die die Frau haben soll. Die Vorliebe für Fleisch ist für ihn dagegen eigentlich unnatürlich.

Gemüse oder Fleisch, das beginnt ab jetzt ein Geschlechterthema zu werden.

Christine Ott

Foto: privat

45, ist Professorin für italienische und französische Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihr Buch „Identität geht durch den Magen“ ist vor Kurzem bei S. Fischer erschienen.

Dahinter steckt bei Rousseau noch eine sehr patriarchale Ideologie. Er sagt, Männer müssen im Gegensatz zu Frauen und Kindern auch Geistesarbeit leisten, und deswegen dürfen die auch ausnahmsweise mal Fleisch essen und Wein trinken. Ein Hintergedanke ist dann auch, dass Kaffee, Alkohol und stark gewürzte Speisen die Sinnlichkeit der Frau anregen. Und das ist eben auch schlecht. Balzac, der sich explizit auf Rousseau beruft, hat das noch ins Extrem getrieben und Männern zu einer Tugend-Diät für ihre Frauen geraten, damit sie nicht fremdgehen.

Heute gilt es eher als emanzipatorisch, kein Fleisch zu essen. Sind die Frauen Rousseau auf den Leim gegangen?

Nein. Wir leben in einer Zeit, die stark unter dem Eindruck des Ökofeminismus steht. Die radikalsten Vertreterinnen sagen, Feminismus sei kein echter Feminismus, wenn er nicht mit Veganismus einhergeht. Carol Adams gehört dazu. Sie hat gezeigt, dass in der Werbung für Fleisch oft gezielte Analogien zum weiblichen Körper hergestellt werden; ein wichtiger Befund. Doch auch Adams neigt zu einem essenzialistischen Kurzschluss, wenn sie daraus ableitet, dass Fleisch essen immer ein Zeichen von Antifeminismus ist. Sie sagt dagegen: Reis zu essen sei das Zeichen einer feministischen Haltung. Aber ob Reis immer so ein faires, anständiges Essen ist – das ist fraglich.

Gehört der Veganismus dann auch in den Katalog neuzeitlicher kulinarischer Ideologien?

Nein, das eigentlich Spannende daran ist, dass wir das Mensch-Tier-Verhältnis überdenken. Problematisch finde ich nur die Denkrichtung, die sagt, der Mensch sei einfach ein Tier unter Tieren. Deswegen müsse man ihn nicht mehr schützen als andere Tiere. Antiveganer werden darauf entgegnen, dann kann er sich ja genau verhalten wie ein Raubtier. Das nimmt ja auch keine Rücksicht auf Mitgeschöpfe. Man sollte doch immer an der Differenz festhalten, dass der Mensch im Gegensatz zu Tieren imstande ist, seine Ernährungsweise infrage zu stellen.

Nächste Woche: Auch Waschmaschinen leben nicht ewig. Was man aus der Wäschetrommel Praktisches bauen kann, verraten wir in unserer Reihe „Schöner Müll“.