„Es braucht halt immer ein paar Rolling Stones“

Das bleibt von der Woche Mit dem neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag darf sich Berlin über ein paar Millionen extra freuen, bei der Internetkonferenz Re:pulica wendet man sich zum Zehnjährigen gegen den Hass in der digitalen Gesellschaft, die hiesigen Fußballteams wollen gar nicht ganz oben stehen, und am Sowjetischen Ehrenmal feiert man traditionell den „Tag des Sieges“

Zu früh für den Champagner

Neuer Hauptstadtvertrag

2 Milliarden Euro bekommt Berlin vom Bund in den kommenden zehn Jahren

Solche Termine lässt sich keiner gerne entgehen. Eine rote Kladde in die Hand nehmen, Tinte drunter, ein bisschen Puste drauf, und fertig ist die gute Nachricht.

Am Montag haben der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), Kultursenator Klaus Lederer (Linke), Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) den Hauptstadtfinanzierungsvertrag unterzeichnet. 2 Milliarden Euro bekommt das Land Berlin vom Bund in den kommenden zehn Jahren – für Wachschützer, Philharmoniker und vieles mehr. Außerdem gibt es einen Ringtausch von Grundstücken. Gut so.

Die Freude kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Dinge nach wie vor nicht geklärt sind.

Beispiel Dragonerareal. Zwar soll Berlin die begehrte Fläche in Kreuzberg endlich bekommen. Weil die bundeseigene Bima beim später zurückgezogenen Kaufvertrag mit einem Wiener Investor aber schlampte, geht der nun vor Gericht. Es droht eine Hängepartie.

Beispiel Haus der Statistik. Auch der leerstehende Plattenbauriegel am Alex soll künftig dem Land gehören. Anders als beim Dragonerareal aber soll Berlin dafür bezahlen. Mal schauen, ob sich beide Seiten einig werden.

Schließlich der Hauptstadtfinanzierungsvertrag selbst. Nach den beiden Verträgen von 1994 und 2007 ist dies bereits das dritte Vertragswerk, in dem der Bund und Berlin ihre Beziehungen zueinander zu regeln versuchen. Die Gesamtlösung allerdings, nämlich ein Hauptstadtgesetz, das die Rolle der Bundeshauptstadt politisch und finanziell gesetzgeberisch definiert, fehlt noch immer. Die Stiftung Zukunft Berlin hat dies immer wieder angemahnt. Vergeblich.

Aber nur mit einem solchen Gesetz wäre endgültig zu klären, wie viel Geld Berlin das Hauptstadtdasein so kostet. Alleine beim Thema innere Sicherheit geht der Senat von 180 Millionen Euro jährlich aus. Bisher hat Berlin 60 Millionen bekommen. Künftig werden es 120 Millionen sein.

Ja, sie freuen sich. Aber Freude kann auch relativ sein. Uwe Rada

Geselliges Treffen gegen den Hass

Netzkonferenz Re:publica

Man trifft sich hier seit Jahren, plaudert – und verpasst darüber den Vortrag

Es ist nicht ganz so einfach mit dem analogen Networking. Schon am Dienstagmorgen, dem zweiten Tag der Internetkonferenz Re:publica, sind die bunten Halsbändchen aus, an die die Namensschilder geheftet werden sollen. „Lass dir was Kreatives einfallen“, rät die Frau am Einlass. Doch erst mal verschwindet das Schild in der Tasche. Und bleibt dort.

So richtig wichtig sind die Namensschilder letztlich auch nicht auf der dreitägigen Re:publica in der Station Berlin am Gleisdreieck. Vor zehn Jahren als Treffen von Bloggern gegründet, ist sie inzwischen zu einer Gesellschaftskonferenz mit Schwerpunkt auf digitalen Welten geworden, unterstützt von Wirtschaftsriesen wie IBM und Daimler, besucht von 9.000 Menschen, vom Bundesinnenminister und der Bundesarbeitsministerin. Trotzdem wirkt sie bisweilen wie ein Klassentreffen der deutschen Start-up-, Netzaktivisten- und Medienszene der frühen Zehnerjahre. Man kennt sich, trifft sich hier seit Jahren immer wieder, man plaudert – und verpasst darüber den vorgemerkten Vortrag oder die Diskussion.

Auch das ist nicht richtig schlimm: 1.000 RednerInnen sind laut den Veranstaltern dieses Jahr aufgetreten, die wichtigsten Debatten werden live gestreamt und können auch noch nachträglich angeschaut werden. Und über den hier immer noch fast kultisch verehrten Kurznachrichtendienst Twitter kriegt man letztlich meist eine Mitteilung, dass bei dem Vortrag inhaltlich doch nicht so viel wie erwartet rübergekommen ist. „Es braucht halt ein paar Rolling Stones auf der Re:publica“, sagt dazu ein langjähriger Besucher – also ein paar Namen, die ziehen. Aber wie bei den Stones auch weiß man ja, was die spielen werden und dass sie früher mal fitter waren.

Schwerpunktthema ist diesmal der weit verbreitete Hass im Internet und wie dem zu begegnen sei. Die Appelle, diesem Hass nicht mit Hass zu begegnen, sind zahlreich. Dazu kommt die Einsicht, dass ein Shitstorm schnell ausgelöst ist, aber inzwischen auch recht fix wieder abebbt.

Telefoniert hat übrigens niemand auf diesem Treffen, obwohl jede und jede das Handy stets in Reichweite hatte: Die Netze waren so ausgelastet mit Datenübertragen, dass schlicht keine Verbindung zustande kommen konnte. Bert Schulz

Die Angst vorm Torschluss

Union steigt nicht auf

Haben die Berliner Vereine zu kurzen Atem? Freude am Drama?

Frank Mill ist kein Berliner. Der Mann ist in Essen geboren, das sei an der Stelle gesagt. Aber der Stürmer, der einst so berühmt in letzter Sekunde vertändelte, ist Berliner im Geiste. Vor dem leeren Tor stand Frank Mill, hatte Bayern-Torhüter Pfaff umkurvt und musste nur noch einschieben.

Doch Mill hat so viel Spaß am Anblick des leeren Tores, dass er abwartet. Pfaff rauscht heran, Mill bekommt Panik und schießt dann aus zwei Metern an den Pfosten. Berlin-Syndrom. Bei Hertha sind sie es ja fast schon gewohnt. Vergangenes Jahr standen die Herthaner ewig auf einem Champions-League-Platz und vergaben dann kurz vor Torschluss die Champions League, die direkte Euro League und, richtig, die Euro League Quali.

Ein Jahr später grüßt täglich Frank Mill: vom Champions-League-Platz im Winter runter auf Platz sechs. Wieder fast alles vertändelt bei Hertha, mit Aussicht, das Wort „fast“ noch zu streichen. Aber heute am Samstag könnte es im Spiel gegen Darmstadt vielleicht mal wieder einen Punkt geben.

Und Union? Die Köpenicker machen dem Rivalen vor, wie Scheitern in letzter Minute so richtig geht. Mit der Niederlage am Montag in Braunschweig ist alle Hoffnung dahin. Dabei hatte Union mal mit der Tabellenführung neun Spieltage vor Schluss den Aufstieg in die Erste Liga statistisch schon sicher; von da auf Platz vier zu rutschen, muss ihnen erst mal einer nachmachen.

Es konkurriert: Turbine Potsdam. Geographisch nicht ganz Berlin, mental aber voll auf Linie. Im Winter die Tabellenführung und Meisterschaftskurs, dann das Spitzenspiel gegen Wolfsburg verloren, und weil die Bayern-Frauen auch noch da sind, könnte sogar die Champions League wegrutschen.

Haben die Berliner Vereine zu kurzen Atem? Keine Lust mehr? Freude am Drama? Was, muss man fragen, wäre die Region ohne Rückrunde? Sie hätte zwei Champions-League-Teilnehmer und einen Deutschen Meister im Fußball. Nur die renitenten Unioner wären immer noch nicht aufgestiegen.

Warum erinnert sich die Welt an das Scheitern von Frank Mill? Wahrscheinlich liegt die Schönheit im Unerwarteten. Das Stolpern in letzter Sekunde, im Moment des fast sicheren Triumphs. Nach dem Maßstab sind Hertha, Union und Turbine in Schönheit gescheitert. Nur Mill wird sie alle überleben. Der Reiz des Falls liegt ja auch im Unerwarteten. In Berlin droht die Routine.

Aber nebenbei: Die BR Volleys sind gerade Deutscher Meister geworden. Auch Routine, aber ohne Mill. Alina Schwermer

Ignoranz der offiziellen Politik

Der Tag des Sieges

Mannshoch türmten sich am Ehrenmal die mitgebrachten Nelken und Rosen

Das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, dieses gewaltige Monument zu Ehren der über den deutschen Faschismus siegreichen Roten Armee und zugleich einer der beeindruckendsten Orte dieser Stadt, war am Dienstag wieder Pilgerort für Tausende. Wie in jedem Jahr am 9. Mai, dem „Tag des Sieges“ – die deutsche Kapitulation wurde spät in der Nacht am 8. Mai unterzeichnet, da zeigte in Moskau die Uhr bereits den Morgen des 9. Mai – war die Gedenkstätte Anlaufpunkt für junge und alte Antifaschisten und viele Russen, Ukrainer oder Kasachen dieser Stadt.

Im mosaikverzierten Pavillon, unter der Statue des Hakenkreuz zertretenden „Befreiers“, türmten sich die mitgebrachten Nelken und Rosen mannshoch. Und vor dem Eingang zur Anlage wurde zusammen gefeiert, bei Wodka und Blasmusik der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot. Das alljährlich von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) organisierte Fest ist der sichtbarste Ausdruck historischen Bewusstseins an den Tagen des 8. und 9. Mai in dieser Stadt. Dafür gebührt Dank.

Zugleich offenbart es die Ignoranz der offiziellen Politik: Kein ranghoher Vertreter der Stadt nutzte den Anlass für eine Geste der Anteilnahme und der Völkerverständigung. Während im Brandenburgischen Landtag eine Gedenkstunde stattfand und Potsdams Oberbürgermeister einen Kranz auf einem sowjetischen Soldatenfriedhof niederlegte, duckten sich Politiker aus Berlin und dem Bund einfach weg. Keine Reden, kein Staatsakt, kein persönliches Erscheinen an einer der zahlreichen Grab- und Gedenkstätten. Wie der Kranz des Regierenden Bürgermeisters in den Treptower Park kam, wird Michael Müller wohl selbst nicht wissen.

Den Menschen, die diesen Tag in Gedenken an den Zweiten Weltkrieg und aus Dankbarkeit für die alliierten Befreier dennoch begehen, ist das egal. Ihr Motto ist schon immer: „Wer nicht feiert, hat verloren“. So wie die politischen Vertreter Berlins und der Bundesrepublik.

Erik Peter