Die Wahrheit: Dezi­bellissimo!

Kreativer Krach: Der heutige Lärmschutztag gehört definitiv abgeschafft – und zwar mit Pauken und Trompeten.

Illustration: Ari Plikat

Wozu in aller Welt brauchen wir einen Lärmschutztag? Es ist der Lärm, der bei uns geschützt werden muss! Deutschland ist ein stiller Ozean. Es muss ent­schie­den lauter werden in diesem Land, die Lärmproduktion liegt weit hinter der unserer europäischen Nachbarn zu­rück.

Italien etwa produziert jähr­lich etwa 9,3 Mega-Dezibel! Dezi­bellissimo! Die Italiener haben aber auch Städte wie Palermo. Hierzulande haben wir nur Stillgruppen in Ruhla oder Karlsruhe. Dabei gibt es bei uns Ansiedlungen wie Neuss, was auf englisch sehr schön klingt, und Kaisers­lautern – diese Orte müssten die Richtung vorgeben!

Im Land der schweigenden Mehrheit leben Millionen Lärm­be­hinderte. Die Ru­he vor dem Sturm geht hierzulande übergangslos in die Ruhe nach dem Sturm über – und der fällt eh flach, außer es laufen Seniorenverbände Sturm gegen Kindertagesstätten in Wohn­­gebieten. Ruheständler regieren Leisetreter. Zum Grölen gehen die Jungen nach Malle oder in Fußballstadien. Dabei befreit Lärm doch, man denke nur an die Urschrei-Therapie nach Janosch.

Störung der Ohropax Christi

In den Städten gibt es Ruhezonen, in den ICEs ebenso. Und entlang der Strecke stehen Lärm­schutzwände. Vielleicht dienen die aber auch bloß dazu, die Passagiere vor den Auswüchsen deutscher Architektur zu bewahren. In den Museen bewundert man schweigeminutenlang Stillleben – von Lautmalerei keine Spur.

In den Or­chestern ist die Laute nur geduldet, der Text von „Sti-hille Nacht“ jedoch ist jedermann geläufig. Sogar das Böll-Buch „Und sagte kein einziges Wort“ findet nach bald 60 Jahren nach Erscheinen immer noch Käufer, ebenso „Schlafes Bruder“. Das Fernsehprogramm ist nichtssagend. Kirchenglöckner dagegen werden wegen Störung der Ohropax Christi verklagt. Osterglocken dürfen sich nicht frei entfalten, aber Trappistenkäse ist beliebt. Kräht der Hahn laut auf dem Mist, werden ihm die Stimmbänder entfernt.

Wir müssen uns lauter artikulieren, wenn wir in der Welt gehörtwerden wollen!

Überall Schweigemeditationen und Hupverbote. Presslufthämmer sind schallisoliert, mit dem menschlichen Ohr nicht mehr wahrzunehmen. Atomkraftwerke werden stillgelegt. Die Geräuschkulisse ist tatsächlich eine, sie hält sich leishals im Hintergrund. Lautlose Ehekräche, Morde in Zimmerlautstärke und dann Toten­stille. Der Rest ist Schweigen. Die Toten werden in aller Stil­le beigesetzt. Wo zum Teufel liegt „Aller Stille“, und will da überhaupt wer hin?

Es heißt nicht Laut­schwäche

Gellende Geräuscharmut ist unzeitgemäß. Stille Wasser sind nass und nicht automatisch tief. Anderswo gibt es im Zeitalter der Gleichstellung neben Radaubrüdern auch Geräusch­schwes­tern und Lärmbelustigung für alle. Es heißt Lautstärke und nicht Laut­schwäche!

Wir müssen uns lauter artikulieren, wenn wir in der Welt gehört werden wollen! Sonst verstummt nicht nur unsere Gesellschaft, wir würden auch das Hören verlernen. Ab und zu bedarf es eines ordentlichen Lärmschubes, um unsere vollgepropften Gehörgänge durchzupusten. Kein Laut darf ver­lo­ren gehen. Lärmschutztag – sofort abschaffen!

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kari

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