Das Immaterielle kommt zu kurz in Hamburg. Deshalb ist Hamburger Lifestyle kein Exportartikel
: Der Anker der anderen

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Nach dem 5:0-Sieg des FC St. Pauli gegen den Karlsruher SC ging ich am Millerntorstadion entlang. Eskortiert von der Polizei kamen mir blau-weiße Karlsruher Fans entgegen und einer von ihnen sagte zu mir ironiefrei und ohne Aggression: „Glückwunsch.“ Nichts weiter, nur „Glückwunsch“.

Das hat mich beeindruckt. Fußball-Fans gegnerischer Clubs gönnen sich normaler Weise keine Kantersiege, schon gar nicht im Abstiegskampf. „Glückwunsch!“ Danke. Manchmal muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

Wer oft am falschen Ort ist, das sind die Fans, die weit entfernt von ihrem Club wohnen. Zum Beispiel gibt es im bayerischen Weiden einen FC St. Pauli-Fanclub namens „Paulizeirevier“. Weiden ist eine Stadt mit 42.000 Einwohnern, nach Tschechien ist es nicht weit, aber nach Hamburg sind es 620 Kilometer.

Bei der Gründungsversammlung diskutierten die Weidener St. Paulianer den Namen ihres Fanclubs. „Paulizeirevier“ setzte sich knapp durch gegen „Astra la vista“. Vermutlich ist den Fans rechtzeitig eingefallen, dass es nirgends in Weiden Astra gibt.

Generell gibt es außerhalb Hamburgs keinen Hamburger Lifestyle. Man kann durch München gehen und findet nichts – keinen Fischmarkt, keinen Hafengeburtstag, keine Hamburger Küche. Umgekehrt kann man durch Hamburg gehen und findet an jeder Bremsspur ein Hofbräuhaus, ein Oktoberfest, einen Schweinebraten. Hamburger Lifestyle ist kein Exportartikel. Das „Paulizeirevier“ ist eine der wenigen Ausnahmen.

Eine weitere Ausnahme scheint mir der Anker. Hamburg ist eng verbunden mit Ankern: Es gibt Tassen, T-Shirts, Turnbeutel, Kneipen und Bier-Etiketten, auf denen „Hamburg“ steht und ein Anker abgebildet ist.

Der Anker ist neben seinen Verdiensten in der Seefahrt marketingmäßig ein Volltreffer. Ein international bekanntes Symbol, das sich angeblich sogar die österreichische Kaiserin Sissi im Jahr 1888 auf die Schulter tätowieren ließ. Das Problem ist nur, dass Hamburg den Anker nicht exklusiv hat. Wer weiß schon, woran Sissi bei ihrem Anker-Tatoo dachte? Könnte auch Rio, das Schwarze Meer oder die Donau gewesen sein.

Exklusiv hätte Hamburg die Elbphilharmonie, die Rote Flora und den Hafengeburtstag, aber nichts davon lässt sich exportieren. Der Hafengeburtstag braucht einen Hafen, die Elbphilharmonie braucht die Elbe, die Rote Flora braucht die Pfeffersäcke und Immobilienmakler. Das Oktoberfest hingegen braucht keinen Oktober. Es findet größtenteils im September statt und selbst den gibt’s überall.

Ich würde die These wagen, dass Hamburg so sehr am Materiellen hängt, dass das Immaterielle zu kurz kommt. Zu viel Handel und zu wenig Glaube. Zu viel Kohle und zu wenig Spirit. Ich weiß nicht, ob das in München wirklich anders ist. Vermutlich nicht. Aber in Karlsruhe scheint etwas anders zu sein. Glückwunsch.