Der Club in der Mitte der Gesellschaft

Debatte Die Linke lud im Gretchen zu einem Talk über Politik und Clubkultur. DJs, Politiker und Journalisten sprachen über Gentrifizierung, Sexismus – und über zu wenig Engagement in der Szene

„Dieses eher linke ­Bauchgefühl“ ist zu wenig

Die Technoparties, die gibt es so nicht“, stellte der DJ und Produzent Tobias Hagelstein alias Ruede Hagelstein zu Beginn einer Diskussionsrunde am Mittwochabend in Kreuzberg klar. Die Partei Die Linke hatte unter dem Motto „Techno, Politik und Clubkultur“ zur sechsten Ausgabe ihrer Reihe „Popkulturpolitik“ eingeladen.

Auf der Bühne des Clubs Gretchen saßen neben Hagelstein die Aktivistin Elena Woltemade, die Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay und Marcus Staiger, der als Journalist eigentlich im HipHop zu Hause ist. Der Journalist Tobias Rapp hatte krankheitsbedingt abgesagt, war aber auf andere Art präsent. Staiger zitierte immer wieder aus Rapps Buch „Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjetset“ (2009), in dem er der zunehmenden Beliebtheit von Techno und den Folgen auch aus politischer Perspektive nachgeht. Das Erscheinungsjahr zeigt, dass Fragen zu Techno und Politik nicht neu sind. Sie bleiben aber aktuell, wie unter anderem die aktuelle Ausgabe des Groove-Magazins für elektronische Musik, zeigt, in der das Jahr 2016 im Rückblick als „Jahr der Repolitisierung“ von Clubkultur bezeichnet wurde.

Das Dragonerareal und die Gretchenfrage

Die Diskussion fokussierte sich ganz auf Techno in Berlin. Das reichte aus, um zu einer Gemengelage aus Fragen zu führen, anhand derer man das Image der libertären Szene, das die Politikerin Caren Lay zu Beginn betonte, überprüfte. Über Türpolitik wurde diskutiert, die auf der einen Seite Zugang zu Clubs beschränkt, auf der anderen einen Freiraum erst möglich mache. Dass diese Freiräume durch Immobilienspekulation konkret bedroht sind, zeigte sich auch vor Ort. Der Veranstaltungsort, der Club Gretchen, befindet sich auf dem Dragonerareal, dessen Verkauf vom Bund an einen Investoren Ende vergangenen Jahres zwar rückgängig gemacht wurde, dessen Zukunft aber weiterhin ungewiss ist – und damit die des Clubs.

Gentrifizierung wurde so als bedeutendstes Handlungsfeld für politisches Engagement ausgemacht. Woltemade wünschte sich darüber hinaus mehr aktive Beteiligung von Menschen an politischem Protest. Denn obwohl es „dieses eher linke Bauchgefühl“ gebe, engagierten sich nur wenige. Hagelstein sah Möglichkeiten unter anderem darin, Mehrheiten in der Szene für diese Interessen zu gewinnen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Außerparlamentarischer Druck, so Caren Lay, erhöhe die Chance, dass sich institutionelle Politik wie der Bundestag mit Themen auseinandersetze.

Sie betonte auch die Rolle von Techno für die LGBT-Community. So interessiere es in den Technoclubs niemanden, wie man sich sexuell oder geschlechtlich definiere, meinte Lay. Zu denken, dass es deswegen keinen Sexismus oder keine Diskriminierung gebe, sei aber naiv. Woltemade, die unter dem Namen Elliver auflegt, stellte klar, dass viele der szenerele­vanten Netzwerke zum größten Teil aus Männern bestehen. Mit Hinweis auf Stimmen, die sich genervt von der Diskussion über Sexismus zeigen, sagte sie: „Die Diskussion führen wir jetzt aber mal so lange, bis das kein Thema mehr ist.“

Nicht mehr nur Freiräume für Underdogs

Wie eine Wortmeldung aus dem Publikum im Anschluss an die Podiumsdiskussion klar machte, sind Technoclubs heute nicht mehr wie nach der Wende in Berlin Freiräume für Underdogs wie Drogenabhängige oder Sexarbeiter*innen. Sie werden inzwischen häufig auch von denen geprägt, die vorherrschenden gesellschaftlichen Gruppen angehören wie weiße, heterosexuelle Männer. Techno ist heute Teil der Gesellschaft und hat damit auch die Probleme der Gesellschaft. Und Partys sind nur so politisch, so libertär, ­tolerant und links wie die Menschen, die sie organisieren und vor allem wie die, die sie besuchen.

Philipp Weichenrieder