Zeitungswelt Gerhard Stadelmaier erzählt – durchaus nah an sich selbst – vom Aufstieg eines Großkritikers
: So war das damals

Stadelmaier war Castorf-Gegner und mochte keine Medien auf der Bühne. Nun denn: Szene aus Castorfs „Erniedrigte und Beleidigte“ Foto: M. Lieberenz

von Shirin Sojitrawalla

Großkritiker zeichnen sich auch dadurch aus, dass selbst von ihnen Kritisierte sich die Kritik als Anerkennung ihrer Person auf die Fahnen schreiben dürfen. Das war etwa bei den Autoren zu beobachten, die Marcel Reich-Ranicki verrissen hat. Sie fühlten sich oft besser als diejenigen, die er erst gar nicht beachtete.

Ganz ähnlich verhält sich das bei dem Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier, der von 1989 bis 2015 zuständiger Redakteur für Theater und Theaterkritik bei der FAZ war. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch wirbt etwa für die Biografie des Regisseurs Leander Haußmann mit Stadelmaiers Verdikt: „Deutschlands fröhlichste Regienull“. Mit Reich-Ranicki teilt Stadelmaier zudem die klare Urteilswucht: kein „einerseits, anderseits“, sondern striktes „Top oder Flop“. Beide verstanden es obendrein, ihre stilistisch eigenwilligen Rezensionen nicht nur für Information und Kritik zu nutzen, sondern auch dem Unterhaltungsanspruch ihrer Leser zu dienen. Langweilig wurde es mit ihnen selten.

Nicht weiter verwunderlich also, dass Stadelmaier auch in seinem ersten Roman zu unterhalten versteht, auch wenn er sich diesmal zuweilen etwas verquatscht.

Das Redselige mag daran liegen, dass dem Autor eigene Erinnerungen in die Quere kommen, schließlich bewegt sich die Geschichte, die er erzählt, eng an seinem eigenen Leben entlang. Von dem Protagonisten seines Buchs spricht er immer nur als von dem jungen Mann. Wie er selbst, Jahrgang 1950, beginnt er seine Zeitungskarriere bei einem Lokalblättchen als freier Mitarbeiter, erringt später ein Volontariat bei der Landeszeitung (Stuttgarter Zeitung), um schließlich den begehrten Posten des Chefkritikers bei der großen Staatszeitung (FAZ) zu erobern.

Dort konnte es im echten Zeitungsleben passieren, dass Stadelmaier ganze Inszenierungen auf der Aufmacherseite des Feuilletons in Meldungskürze abkanzelte und frech behauptete, der Name des Regisseurs tue nichts zur Sache. Eine kalkulierte Unverschämtheit, die man sich erst einmal leisten können und dürfen muss. Gerhard Stadelmaier wollte es sich leisten. Die schnell vernichtende Kurzkritik gehört neben seiner Vorliebe für waghalsige Wortzusammensetzungen zu seinen Markenzeichen.

Doch im Gegensatz zu seinen Artikeln ermüdet das Höher-Schneller-Weiter der Komposi­ta im Roman recht schnell. Dabei bietet das Buch einen wehmütigen Blick zurück auf eine Zeit, die unwiederbringlich vorbei ist: im Theater, in den Redak­tio­nen, auf den Straßen, in den Wohnküchen, in Deutschland und anderswo. Diese Welt, wie sie einmal war, samt all ihren Fallstricken und Lustigkeiten noch einmal aufleben zu lassen, das gelingt diesem anekdotenseligen Roman fabelhaft.

Schirrmachers Allüren

Nicht zufällig trägt der Roman den eindeutig zweideutigen Titel „Umbruch“, der nicht nur auf den sogenannten Umbruch der Zeitungsseiten in ein Layout, sondern auch auf all die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, die das Leben Stadelmaiers eskortierten, verweist. Die großen politischen Umbrüche, egal ob Deutscher Herbst oder Maueröffnung, spiegelt er in den zeitungsinternen Abläufen, im Theater und im Leben selbst. Es ist die gute alte heile Zeitungswelt voller Druckerschwärze und Bleisatz, die hier wundersam wiederaufersteht. Zu Hause wartet dann Mutti mit dem Abendessen. So war das.

Stadelmaier blickt in seinem Roman, der Liebeserklärung und Abgesang zugleich ist, zurück wie auf eine Bühne und beweist immer wieder ein Händchen für komische Szenen, auch wenn sie ihm manchmal ins possierlich Biedere rutschen. Namen nennt er keine in seinem Schlüsselroman, aber er macht sich auch keine Mühe, Identitäten zu verschleiern. Persönlichkeiten wie Georg Hensel, Claus Peymann oder Frank Schirrmacher lassen sich nicht nur von eingeweihten Lesern mühelos entschlüsseln. Mit Letzterem und seinen Alleinherrscherallüren rechnet der Roman ebenso ab wie mit dem Wandel des Feuilletons zu einer Art Gemischtwarenladen, in dem auf einmal alles Platz zu finden schien.

Davon hätte man gern mehr erfahren, doch die Frankfurter Zeit ergibt den kleinsten Teil des Buchs. In diesen Passagen meint man zudem eine Kränkung herauszulesen, die auch mit der schwindenden Bedeutung der einstigen Großkritiker zu tun haben mag. Der Theaterregisseur Peter Zadek soll einmal gesagt haben: „Eine Premiere ohne Stadelmaier ist keine Premiere.“ Wie es und er so weit kommen konnten, auch davon erzählt dieser Roman.

Gerhard Stadel­maier: „Umbruch“. Zsolnay, Wien 2016, 221 Seiten, 22 Euro