„Wir können nicht anders. Vor allem können wir nicht mutig“

Das bleibt von der Woche Der Senat denkt darüber nach, eine landeseigene Betreiberfirma für Flüchtlingsunterkünfte zu gründen, Staatssekretär Andrej Holm ist immer noch im Amt, der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt beschert Angst und Diskussionen, und Claudia Sünder wird neue Senatssprecherin

Endlich wegvom Markt

Flüchtlingsunterkünfte

All diese Probleme könnte eine landes­eigene Betreiber­firma sicher lösen

"Wir denken darüber nach." So lautete Anfang der Woche die Antwort der Senatsverwaltung für Finanzen auf die Frage der taz, ob das Land ein eigenes Unternehmen zum Betrieb von Flüchtlingsunterkünften gründen will. Das ist gut. Denn die Vergabe von Flüchtlingswohnheimen an private Betreiber hat nicht nur in der zuständigen Behörde zu Chaos und Problemen geführt. Sie hat zudem in manchen Fällen den Falschen Gewinne beschert, wie die Affäre um die Firme Pewobe gezeigt hat.

Diese hat mit der Unterbringung Geflüchteter jahrelang Kasse gemacht und wurde trotz vieler Klagen von BewohnerInnen und ehrenamtlichen Unterstützern über die Qualität der Unterkünfte immer wieder beauftragt – wohl auch, weil es zu wenig andere Betreiber gab. Erst als dann auch noch menschenverachtende Äußerungen bekannt wurden, die Pewobe-Beschäftigte in E-Mails über die ihnen anvertrauten Geflüchteten getan haben sollen, wurde ein Schlussstrich gezogen: Von einer Kinderguillotine war da die Rede, die statt eines Sandkastens für Flüchtlingskinder errichtet werden sollte, und von "maximal pigmentierten", die den "Dreck" der Enthauptungen dann wegmachen könnten.

Kein Zweifel: Es gibt unter den vielen derzeitigen Betreibern von Flüchtlingsunterkünften viele, die ihre Arbeit ernst nehmen und gut und gewissenhaft ausführen wollen – ob gemeinnützig oder privat.

Ihnen hat dabei oft das Land selbst in Gestalt seiner zuständigen Behörde Steine in den Weg gelegt: indem etwa Verträge nicht pünktlich abgeschlossen wurden oder Gelder nicht rechtzeitig kamen.

All diese Probleme könnten mit einer landeseigenen Betreiberfirma gelöst werden. Langwierige europaweite Ausschreibungsverfahren, an denen die Behörde erst kürzlich wieder bei der Vergabe fertiggestellter Containerdörfer gescheitert ist, würden überflüssig. Denn landeseigene Auftragnehmer ermöglichen die so genannte Inhouse-Vergabe ohne komplizierte Ausschreibung. Sichergestellt wäre damit auch die Einhaltung von Tarifverträgen für Beschäftigte und der für die Flüchtlingsunterbringung geltenden Standards.

Und sollten die Flüchtlingszahlen sinken, könnte der Wohnraum für andere bedürftige Gruppen – etwa als Frauenhäuser oder Obdachlosenunterkünfte – genutzt werden. Die Gedanken des Senats gehen in die richtige Richtung. Alke Wierth

Auf in Runde zwei!

Staatssekretär Holm

Der Ablauf des Krisen­gipfels landete schneller in der Presse als gedacht

Andrej Holm hatte alle Chancen gehabt, in die Geschichte einzugehen: als Berliner Staatssekretär mit der kürzesten Dienstzeit. Der 46-Jährige war gerade vier Tage im Amt, da musste wegen Holms Umgang mit seiner Stasi-Vergangenheit der rot-rot-grüne Koalitionsausschuss zum ersten Mal tagen – auch das dürfte übrigens geschichtsbuchreif sein: Der Regierende Bürgermeister war erst acht Tage zuvor gewählt worden.

Doch der Mietaktivist und Stadtsoziologe Holm überstand überraschend die kontroverse Sitzung am Freitagabend vor einer Woche: Er darf Staatssekretär für Wohnen bleiben, die Koalition wartet die Prüfung seines Falls durch die Humboldt-Universität (HU) ab.

Holm hatte bei seiner Einstellung 2005 an der Uni falsche Angaben gemacht über seine hauptamtliche Stasi-Mitarbeit – und dies nach seiner Ernennung zum Staatssekretär auch zugegeben. Deswegen fragen sich selbst wohlwollende Beobachter, was die HU da überhaupt prüfen will.

Seine Unterstützer nutzen das überraschende Zeitfenster, bis das Ergebnis der Uni feststeht: Gleich mehrere offene Briefe und Aufrufe von namhaften Wissenschaftlern und linken Initiativen wurden in der vergangenen Woche veröffentlicht. Die Berliner Jusos und Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) ergriffen Partei für ihn.

Holms Chefin, Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke), wagte sich besonders weit vor: Sie hätte ihn wohl auch aufgestellt, wenn sie von Holms hauptamtlicher Stasi-Tätigkeit gewusst hätte, sagte sie der taz am Montag. Und fügte hinzu: „Ich habe Andrej Holm als anerkannten Fachmann für Wohnungs- und Mietenpolitik vorgeschlagen, weil er dazu beitragen kann und will, eine soziale Wohnungspolitik in der Stadt umzusetzen.“ Holms Unterstützer verweisen zudem darauf, dass er bei Beginn seiner viermonatigen Stasi-Karriere erst 18 Jahre alt war.

Die HU will nach Aussage eines Sprechers im Januar eine Entscheidung treffen. Egal, wie die ausfällt: Die Personalie Holm wird, selbst wenn die Zahl der Unterstützer steigt, dann noch einmal eine Belastungsprobe für die junge Koalition werden.

Dass die Atmosphäre zwischen SPD, Linken und Grünen noch lange nicht stimmt, hat das Verhalten einiger Teilnehmer des Koalitionsausschusses gezeigt: Dessen Ablauf war am Sonntag teilweise wortwörtlich in einer Zeitung zu lesen. „Durchgestochen“ heißt das im Journalistenjargon. So was kann tödlich sein für die Zusammenarbeit. Bert Schulz

Sorge vor dem Rechtsruck

Anschlag

Die Rentnerin sagt in aller Öffentlichkeit fremdenfeindliche Dinge, ohne Scheu

Am Dienstagmittag nach dem Anschlag am Breitscheidplatz spaziert die ältere Dame mit Brille vom Kadewe zur Bushaltestelle. Sie wohnt ganz in der Nähe, trotz des Anschlags wirkt sie gefasst. „Das Bild heute ist eben ein anderes als noch vor Kurzem“, sagt sie achselzuckend. Im Bus erklärt sie, was sie damit meint. Es seien viel mehr Ausländer bei ihr im Viertel unterwegs, wegen des Flüchtlingsheims um die Ecke. Ohne Übergang erzählt sie von Einbrüchen, die es jetzt ständig gebe und die sie den Zuwanderern zuschreibt. „Mir gefällt das nicht. Uns allen gefällt das nicht.“ Wen sie damit meint? „Na, alle aus unserem Haus.“

Eine durchaus sympathische Frau aus der gesellschaftlichen Mitte, gebildet, ehemalige Augenärztin, sagt in aller Öffentlichkeit fremdenfeindliche Dinge. Ganz selbstverständlich, ohne jede Scheu.

Täuscht es, oder sind nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz Stimmen wie diese lauter geworden? Wundern würde es nicht: Ein grausames Attentat mit zwölf Toten, erst ein pakistanischer, dann ein tunesischer Flüchtling als Tatverdächtige – das hat das Potenzial, die Debatte weiter nach rechts zu rücken. Die AfD wittert Morgenluft.

Noch eine Szene vom Dienstag. In der Gedächtniskirche ist gerade das Kondolenzbuch ausgelegt worden. Draußen vor dem Kircheneingang baut sich Georg Pazderski auf. Der Berliner AfD-Chef fragt in die Kameras: „Was können wir tun, dass so etwas Grauenhaftes nicht mehr passiert?“ Dies sei ein Tag der Trauer, da wolle er sich nicht weiter äußern. „Aber wir werden noch konkreter werden“, kündigt er an. Es klingt bedrohlich.

Umso erfreulicher, dass zur groß angekündigten Mahnwache mit vielen AfD-Vertretern nahe dem Kanzleramt am Mittwochabend nur rund 200 Menschen kommen, weit weniger als erwartet. Auch da hält sich die Partei mit Hassreden noch zurück.

Dass der Rechtsruck ausbleibt, heißt das nicht. Für die ehemalige Augenärztin ist so eine Veranstaltung wahrscheinlich sowieso nicht das richtige Format. Antje Lang-Lendorff

SPD hat die letzte Chance vertan

Neue Senatssprecherin

So eine Art Steffen Seibert auf Berliner Parkett war erwartet worden

Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Nun ist Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller mit Sicherheit kein Berg und Berlins neue Senatssprecherin Claudia Sünder erst recht keine Maus. Ein wenig überrascht sein darf das Publikum dennoch ob der letzten Personalentscheidung des Senats, die am Donnerstag bekannt wurde.

Als sich Müller kurz nach der Wahl von seiner langjährigen Sprecherin Daniela Augenstein trennte, war schnell die Rede davon, dass der neue Senatssprecher oder die neue Senatssprecherin künftig präsidialer auftreten solle, mehr die Leistung der gesamten Koalition und nicht nur die der SPD in den Vordergrund stellen möge. Ein prominenter Journalist war erwartet worden, so eine Art Steffen Seibert auf Berliner Parkett.

Und nun wird es Claudia Sünder, vor dem Rauswurf ihres Kollegen Lutz Ackermann die stellvertretende Sprecherin der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo. Keine überparteiliche Lösung, sondern eine sehr sozialdemokratische. Vor ihrem Job in Berlin kandidierte Sünder in Baden-Württemberg für die SPD für den Bundestag, allerdings erfolglos.

Damit hat Müller personalpolitisch die letzte Chance auf eine Überraschung vertan. Schon die Wahl der vier SPD-Senatoren war für viele eine Enttäuschung. Alle vier blieben im Amt, nur das Ressort musste hier und da gewechselt werden. Die Botschaft: Weiter so. Oder auch: Wir können nicht anders. Vor allem können wir nicht mutig.

Das gleiche Bild bei den Staatssekretären. Fast alle wurden übernommen, kaum ein neues Gesicht, und weil Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup auch Staatssekretär sein musste, wird Senatssprecherin Sünder nun keine werden dürfen. Die SPD hat schlicht ihr Kontingent ausgeschöpft, und Linke und Grüne waren nicht willens, der SPD da ein Zugeständnis zu machen.

Apropos Grüne und Linke. Die kleinen Koalitionspartner haben es der SPD gezeigt, dass nicht nur ein Koalitionsvertrag anspruchsvoll sein kann, sondern auch das Personal. Aber vielleicht geht das auch nicht anders in einer Partei, in der es entweder nur Berge gibt oder Mäuse. Uwe Rada