„Nun ist Czaja weg, das Chaos ist geblieben“

Das bleibt von der Woche Bundespräsident Joachim Gauck sorgt bei einem Konzert im Roten Rathaus für eine handfeste diplomatische Überraschung, Sozialsenatorin Elke Breitenbach stellt hohe Ansprüche an sich selbst, um Staatssekretär Andrej Holm ist eine Debatte über seine Stasi-Vergangenheit als Jugendlicher entbrannt, und Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, macht das Berliner Abitur so richtig madig

Gauck ermahnt Andrzej Duda

Polnisches Institut

Kultursenator Lederer lobte den Bundespräsidenten für seine offenen Worte

Eigentlich sollte zum Abschluss des 25. Jahrestags des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags nur ein Konzert stattfinden im Roten Rathaus. Doch dann kündigte sich für den vergangenen Sonntag plötzlich Polens Präsident Andrzej Duda an, und aus dem Konzert der Posener Philharmonie wurde ein Staatsakt – denn auch Bundespräsident Joachim Gauck ließ es sich nicht nehmen, ins Rote Rathaus zu kommen.

Und der Bundespräsident sorgte für eine handfeste diplomatische Überraschung. Während Duda pflichtgemäß die deutsch-polnische Freundschaft lobte, verließ Gauck am Ende seiner Rede das offizielle Manuskript. „Wir Politiker haben nicht allein die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen gestaltet“, sagte der scheidende Präsident und lobte nicht nur Zivilgesellschaft und Kirchen, sondern auch die Arbeit des Polnischen Instituts Berlin. Deutlicher ging es gar nicht, denn zwei Wochen zuvor war dessen Leiterin Katarzyna Wielga-Skolimowska vom Außenministerium in Warschau fristlos gekündigt worden.

Es war die polnische Botschaft, die zu diesem Abend eingeladen hatte, doch die Charme-Initiative kam nicht bei allen an. „Die Veranstaltung der polnischen Botschaft stand für mich durchaus unter dem Eindruck der Abberufung der Leiterin des Polnischen Instituts in Berlin aufgrund ihrer engagierten Arbeit“, schrieb Kultursenator Klaus Lederer auf Facebook.

Als Bürgermeister vertrat Lederer den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und begrüßte Duda sozusagen als Hausherr (übrigens mit Krawatte). Lederer lobte anschließend den ­Bundespräsidenten für seine offenen Worte. „Ich bin froh, dass der Bundespräsident auch die Arbeit der Mit­ar­beiter*innen des Polnischen Instituts gewürdigt hat.“ Für Verständigung brauche es Respekt und Vielfalt, Offenheit und Freiräume für kritische Auseinandersetzung. „Abschottung und Abgrenzung kann sich keine Seite leisten. Sie sind gefährlich, das zeigt der Blick in die Geschichte.“

Eigentlich aber sind schon wieder weitere kritische Worte nötig. Mitte der Woche wurde bekannt, dass das Außenministerium in Warschau auch Jacek Skolimowski, dem Mann der Leiterin, gekündigt hat. Allerdings ist der Verantwortliche für Musik und Neue Medien, anders als seine Frau, nach deutschem Recht beschäftigt. Ein deutsches Arbeitsgericht muss nun darüber befinden, auf welcher rechtlichen Grundlage die auswärtige Kulturpolitik der nationalkonservativen Regierung in Warschau steht. Uwe Rada

Ein ehrgeiziger Zeitplan

Turnhallen wieder frei

Sozialsenatorin Elke Breitenbach weiß sehr genau, worauf sie sich einlässt

Wow, da hat sich jemand gleich zu Beginn seiner Karriere als Mitglied der neuen Berliner Landesregierung die Latte ziemlich hoch gelegt. Dass die neue So­zial­senatorin Elke Breitenbach die Flüchtlinge aus den Turnhallen holen will, hatte sie schon direkt nach ihrer Ernennung als ihr dringendstes Ziel genannt. Anfang der Woche hat sie nun auch eine zeitliche Zielvorgabe gemacht: Bis Jahresende soll die Umsiedlung in erträglichere Unterkünfte beendet sein.

Das Gleiche hatte auch Breitenbachs Vorgänger schon angekündigt – und zwar bereits vor einem halben Jahr. Geschafft hat er es nicht: Immer noch leben fast 3.000 Geflüchtete in Turnhallen, darunter Kinder, Alte, Kranke, Schwangere. Manche wohnen dort seit über einem Jahr.

Der CDU-Politiker Mario Czaja hat die zügige Bereitstellung lebensfreundlicherer Unterkünfte nicht organisieren können. Er bekam das Chaos der unter ihm dafür zuständigen Behörde nicht in den Griff.

Nun ist Czaja weg, das Chaos ist geblieben. Elke Breitenbach, eigentlich vor allem Nachfolgerin von Dilek Kolat (SPD) als Arbeits- und Integrationssenatorin, hat das Ressort Soziales und damit die Verantwortung für die Flüchtlingsunterbringung von Mario Czaja noch zusätzlich übernommen.

Die bisherige sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus weiß sehr genau, worauf sie sich einlässt: Sie hat das Elend der Flüchtlingsunterbringung à la Czaja von der Oppositionsbank aus begleitet und kritisiert. Die Probleme bei der Beschaffung anderer Unterkünfte und das Chaos in der zuständigen Behörde sind ihr gut bekannt.

Gerade deshalb mutet die selbst gestellte Zeitvorgabe der neuen Senatorin nahezu waghalsig an. Hätte Breitenbach angekündigt, dass die Turnhallen in sechs Wochen wieder frei sind, wäre ihr im Erfolgsfall immer noch viel Applaus zuteil geworden. Dass sie sich selber die Latte so hoch legt, offenbart, mit welchen hohen Ansprüchen an sich selbst die neue Senatorin ins Amt geht.

Es ist nicht zuletzt den Geflüchteten in den Turnhallen zu wünschen, dass sie diese auch erfüllen kann. Alke Wierth

Eine
harte
Probezeit

Andrej Holm und die Stasi

Aus heutiger Sicht hat er in Sachen Stasi falsche Angaben gemacht

Kaum ist die PDS an der Macht, wird über die Stasi diskutiert. Diese Gesetz gilt sogar noch 2016 – mehr als 25 Jahre nach dem Untergang der DDR und zehn Jahre nach Umbenennung der Sozialisten in Linkspartei. Andrej Holm, Stadtsoziologe und Aktivist, Gentrifizierungskritiker und Nichtmitglied der Linken, ist seit Dienstag Staatssekretär für Wohnen. Ernannt auf Probe. Letzteres aber nicht nur, weil das bei diesen Beamtenstellen so üblich ist.

Denn am Tag nach der Ernennung hat der 46-Jährige mitgeteilt, ihm sei erst bei der jetzt erfolgten Einsicht in seine frühere Kaderakte klar geworden, dass er in der Wendezeit hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gewesen war. Bisher sei er davon ausgegangen, dass seine bereits 2007 in der taz öffentlich gemachte militärische Grundausbildung bei der Stasi und sein anschließender mehrmonatiger Einsatz in einer Einheit des DDR-Geheimdienstes noch nicht als hauptamtliche Tätigkeit zu werten seien, so Holm in einer eilends einberufenen Pressekonferenz. Aus heutiger Sicht hat er deswegen falsche Angaben gemacht in einem Formular, das er 2005 vor seiner erstmaligen Anstellung an der Humboldt-Universität ausfüllen musste.

Schon in den Tagen zuvor war über diese kurze Phase im Leben des damals 18-Jährigen, der in einer regimetreuen Familie aufwuchs, äußerst kritisch diskutiert worden. Rot-Rot-Grün hingegen lobte – in unterschiedlichen Umfang –, den offenen Umgang Holms mit seiner Vergangenheit.

Die jüngste Entwicklung am Mittwoch allerdings gibt der Geschichte einen neuen Dreh. Es geht nicht mehr um eine Bewertung historischer Situa­tionen entlang der Frage, ob jemand durch Holms Tätigkeit Schaden erlitten hat. Sondern um die Überprüfung, ob der neue Staatssekretär 2005 die Unwahrheit gesagt hat. Auch das kann man differenziert bewerten. Aber letztlich läuft es doch auf ein Ja oder Nein heraus.

Die Beantwortung dieser Frage – und damit die Entscheidung über seine politische Zukunft – würde Bausenatorin Katrin Lompscher, Holms Chefin, gern der Humboldt-Universität überlassen. Die Uni hat jetzt eine Anfrage bei der Stasi-Unterlagen-Behörde gestellt und äußert sich bis zur Antwort nicht.

Holm könnte so Zeit gewinnen. Zeit, in der sich die Debatte über den Umgang mit seiner Vergangenheit verändert und stärker in den großen Kontext eingebettet wird. Er könnte mit seiner Arbeit beginnen, mit dem Experiment, wie ein Aktivist in der Berufspolitik ankommt; wie ein Stadtforscher politische Praxis beeinflussen kann. Vielleicht klappt es. Rein inhaltlich wäre es ihm zu gönnen. Bert Schulz

Eine glatte 1,0 in Populismus

Kritik am Berliner Abitur

Schriller Populismus à la Kraus verhindert nur eine vernünftige Auseinandersetzung

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, findet das Abitur also zu lasch. Mehr noch: „Leistungsstarke“ Länder – wie Bayern – sollten doch künftig die Abiturzeugnisse aus „leistungsschwachen“ Ländern – wie Berlin – nicht mehr anerkennen, teilte Kraus zu Wochenbeginn via Bild-Zeitung mit.

Kraus ist erzkonservativ, bayerisch, streitbar und lässt selten eine Gelegenheit aus, gegen die vermeintliche Geisel der modernen „Spaßpädagogik“ – Gesamtschule, sechsjährige Grundschule, Schulnotenkritiker – zu Felde zu ziehen. Dabei hat der langjährige Leiter eines bayerischen Gymnasiums mit einigen Dingen durchaus recht.

Denn ja: Das Abitur in Berlin ist leichter geworden. Seit einigen Jahren können Berliner SchülerInnen zum Beispiel eine in Ruhe zu Hause angefertigte Präsentation mit in die Abi­tur­note einfließen lassen. Diese „fünfte Prüfungskomponente“ gibt es in Bayern nicht. Und die Notengebung – ab wann man eine Eins, Zwei und so weiter bekommt –, wurde noch unter Schulsenator Jürgen Zöllner an die (leichteren) Richtwerte anderer Bundesländer (darunter übrigens auch Bayern) angepasst.

Der Berliner Abi-Schnitt, vor zehn Jahren noch bei 2,7, liegt inzwischen denn auch bei 2,4. Vor zehn Jahren schafften 43 BerlinerInnen die Note 1,0 – im vergangenen Jahr waren es 252. Und auch prozentual ist der Anteil der Spitzen-Abis gestiegen, von 0,3 auf 1,6 Prozent.

Nun könnten die Berliner SchülerInnen natürlich auch einfach besser geworden sein. Und in Bayern liegt der Anteil von Einser-AbiturientInnen sogar noch höher als in Berlin. Schaut man sich die Ergebnisse von Ländervergleichen an, in denen die Leistungen von NeuntklässlerInnen miteinander verglichen werden, sieht man allerdings: Dem ist nicht so. Wenn die BerlinerInnen dann ein paar Jahre später beim Abitur ganz vorne sind, kann etwas nicht stimmen.

Leider übertönt schriller Populismus à la Kraus eine vernünftige Auseinandersetzung mit dem Thema. Denn natürlich ist die Frage berechtigt, was ein Abitur noch wert ist, wenn es zwar zum Besuch einer Hochschule berechtigt – aber unter Umständen dazu nicht befähigt. Aber dann die – juristisch wohl ohnehin kaum durchsetzbare Forderung – einfach die Grenzen dicht zu machen? Das doktort bloß am Symptom herum, ohne an die Ursachen heran zu wollen.

Wenn schon Populismus, dann könnte man viel eher mal wieder die Frage stellen, warum die Unis den Zugang zu ihren Hörsälen überhaupt noch so abhängig machen vom alleinigen Kriterium Abiturnote.

Anna Klöpper