Die Wahrheit: Osama und die Frau im Fummel

Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (3): Claudia Roth, die Gurke des Jahres und die Grünen auf ihrem großen Kriegsparteitag 2001​.

Illustration: taz-Archiv

Die Wahrheit feiert am 25. November 2016 ihren 25. Geburtstag. Aus diesem hohen Anlass lässt die Wahrheit in diesen Tagen einige ihrer besten Geschichten noch einmal Revue passieren.

Ein Sommerabend im Jahr 2016. Die Wahrheit-Redakteure Michael Ringel und Harriet Wolff haben Zeichner ©Tom und mich vorgeladen, sie wollen mit uns das bevorstehende Wahrheit-Jubiläum besprechen. „Ein bisschen was zum Konzept“, brummt Ringel freundlich. Die eine oder andere kleine Idee sei zu entwickeln, flötet Wolff und klimpert mit den Wimpern.

Das gerissene Duo erschafft das, was man im Fußball heute eine „Wohlfühloase“ nennt. Entspannt beteiligen ©Tom und ich uns an der Planerei, und schon haben wir uns diverse Aufgaben eingehandelt. Verdammt!

Carola Rönneburg war Wahrheit-Redakteurin (1996–1999)

©Tom muss einen Bilderberg liefern, klar. Und ich? Ich solle doch „der jungen Generation“ (Ringel) erzählen, wie es damals war, als die Wahrheit anlässlich ihres zehnten Geburtstags im Jahr 2001 die taz-Titelseite bespielen durfte und es mit der Überschrift „Die Gurke des Jahres“ sowie einem Foto von Claudia Roth bis hinein in die „Tagesschau“ schaffte.

„Das kann ich machen“, muss ich wohl gesagt haben, jedenfalls erhalte ich bald nette Mails. Wie es denn um meinen Text stünde. Mitte Oktober wird mir klar, dass ich aus der Nummer nicht mehr herauskomme. Ich versetze mich in das Jahr 2001 zurück. Es passiert: eigentlich nichts. Ich weiß nichts mehr. Ich erinnere mich dunkel an den Arbeitstag des 23. Novembers, ein unvorteilhaftes Kleid und einen brillanten Text von Wiglaf Droste. Es gab dann Aufregung wegen dieser Titelseite.

Voll im historischen Rahmen

Dank höchster Konzentration – nicht einfach in meinem Alter – kann ich den historischen Rahmen rekonstruieren. Am 16. November hatte der deutsche Bundestag beschlossen, die Bundeswehr erneut in einen Kriegseinsatz zu schicken. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte nach den Terroranschlägen vom 11. September in „uneingeschränkter Solidarität“ am „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ der USA teilnehmen. CDU/CSU und die FDP waren nicht dagegen.

Am 25.11.2016 feiern wir im Heimathafen Neukölln in Berlin – Seien Sie dabei.

Zuvor hatten sich allerdings 20 Abgeordnete der SPD sowie acht der Grünen gegen einen Einsatz außerhalb des Nato-Gebiets ausgesprochen. Schröder koppelte daraufhin den Bundestagsbeschluss mit der Vertrauensfrage: Nur ein Ja zum Krieg sollte die Fortführung der rot-grünen Koalition möglich machen. Sonst: Kanzlerrücktritt, aus, Schluss und vorbei mit der Herrlichkeit.

Während die SPD-Abgeordnete Christa Lörcher sich als einzige nicht erpressen lässt und am Tag vor der Abstimmung aus der Fraktion austritt, kippen vier der Grünen um. Mit zwei Stimmen über der absoluten Mehrheit übersteht Schröder das Votum, und Deutschland ist damit Teil der „Operation Enduring Freedom“ in Afghanistan, dem Beginn eines jahrelangen Krieges.

Beim Fußvolk der Grünen, Basis genannt, kommt das nicht überall gut an. Es gibt Diskussionsbedarf und praktischerweise einen Parteitag in Rostock am 24. November. Um es nicht zu spannend zu machen: Selbstverständlich begibt sich dort auch die Basis auf Linie.

Was war da los?

Und damit zurück zu dem Tag, an dem die Wahrheit die Seite eins der taz in der Hand hatte. Was war da los, was haben wir gemacht? Ich rufe Ralf Sotscheck an. Mit dem saß ich damals vor dem Büro der Chefs vom Dienst, glaube ich jedenfalls. „Ralf!!!“ Ich erwische den Irland-Korrespondenten auf der Buchmesse.

Ralf nimmt sich ein Glas von irgendeinem Empfang und Zeit für mich, ich bin beruhigt. „Die Gurke, ja“, schnurrt er mit seinem unnachahmlichen irischen Akzent ins Telefon, „dit war jut jewesen.“ Hatten wir denn überhaupt einen Plan gehabt? „Na ja, wir hatten den Text vom Wichlaf. Du hast auch was geschrieben, und denn kam det irre Foto.“

Auf einmal erinnere ich mich: Wir hatten die Fotoredaktion der taz um Bildmaterial gebeten. Unsere mauen Stichworte: Führungspersonal der Grünen, den Fischer oder die Roth oder so. Textredakteure glauben nur an ihre Buchstaben. Die Kolleginnen aus der Welt der Bilder dagegen verstehen sich auf diese und ließen uns ein Foto zukommen, das wir längst verdrängt hatten: Claudia Roth in einer opulenten roten Robe, die sie in Bayreuth anlässlich der Wagner-Festspiele – freiwillig! – getragen hatte. Ein Trumm von einem Kleid, mit Stola. Wir dankten sehr und planten es ein.

Die Stola sollte später noch die Repro wunderbar grün einfärben. Jegliche Verantwortung dafür streite ich jedenfalls ab, desgleichen tut Ralf Sotscheck am Messetelefon in Frankfurt. Von dort behauptet er, wir hätten an besagtem Abend dem damaligen „Top-Terroristen“ Bin Laden die Daumen gedrückt. „Wir haben was!?“ Doch, sagt Sotscheck, dann bricht das Gespräch ab.

Während ich wie irre auf die Wahlwiederholungstaste drücke, lese ich im Archiv nach. Mein Text zum Parteitag verspottet in gewohnter, viel zu höflicher Form die grünen Änderungsanträge zum späteren Leitantrag „Internationalen Terrorismus bekämpfen, in kritischer Solidarität handeln, die rot-grüne Koalition fortsetzen.“ Wiglaf Droste schreibt in seinem Leitkommentar: „Zweimal schon hat Fischer bewiesen: Wer ihn und Schröder wählt, bekommt garantiert Krieg.“

Bin Laden im Fummel

Sotscheck vom Main ist wieder dran. Nach Redaktionsschluss hätten wir im „Sale e Tabacchi“ gesessen, sagt er, dem Italiener der taz. Vorher hätten wir intensiv diverse Nachrichtenticker gelesen, wonach Bin Laden kurz vor der Festnahme stand. Wirklich? Das hätte wohl unsere Seite eins umgeworfen, statt der grünen Parteichefin wäre ein Mann in einem nicht minder wilden Fummel zu sehen gewesen.

„Und später, auf dem Wahrheit-Fest, lief einer rum, der sich als Bin Laden verkleidet hatte“, erzählt Sotscheck. Ist es zu fassen? Nun sehe ich auch diese Figur klar vor mir. Vielleicht pflanzt mir der Kollege aber nur eine Erinnerung ein. Dann sei da noch die Geschichte mit dem Hausmeister vom Schiller-Theater, sagt Ralf Sotscheck, aber jetzt müsse er erst mal weiter zu einer Whisky-Verkostung.

Was soll ich der jüngeren Generation mitteilen? Vielleicht erst einmal den gesicherten Fortgang des Gurkentages: Bin Laden wurde nicht festgesetzt, also ging die Seite eins der Wahrheit und mit grüner Gurkenrobe in Druck. Während sie ihren Weg an die Kioske und auf den Parteitag machte, feilte Claudia Roth nach eigenen Angaben bis fünf Uhr morgens an ihrer Leitrede. Gegen acht Uhr hätten dann die Ersten angerufen, weil sie die taz-Titelseite gesehen hatten.

Das hatte vermutlich auch Grünen-Geschäftsführer Reinhard Bütikofer, der „Die Gurke des Jahres“ nicht unter den Seinen in Rostock verteilen lassen wollte. „Wir machen uns nicht die Finger schmutzig mit einer Zeitung, deren Titel unter aller Kritik ist“, erklärte er. Claudia Roth soll kurz davor gestanden haben, ihre Parteikarriere zu beenden. Das Wort machte die Runde und alle klein.

Nicht unerwartet endete Rostock mit der Zustimmung der Grünen zum Angriffskurs sowie dem Verbleib auf allen Posten und mit einer Erklärung: „Bündnis 90/Die Grünen bleiben eine militärkritische Partei mit hoher Friedenskompetenz.“

Die Wahrheit hingegen, die an jenem Tag mit ihrer Seite eins eben zum ersten Mal in der „Tagesschau“ landete, bleibt hoffentlich eine Seite mit hoher Nervkompetenz, auch wenn ihre Mitarbeiter Gedächtnislücken aufweisen.

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kari

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