„Es ist ein Büßerdienst am Berliner Bürger, den Rot-Rot-Grün, vor allem aber Müller leisten muss“

Das bleibt von der Woche Noch-Innensenator Frank Henkel (CDU) tritt vom Parteivorsitz zurück, die Grünen sind nach ersten Sondierungsgesprächen frohen Mutes, die AfD bereitet sich darauf vor, in einigen Bezirken Macht zu übernehmen, und Michael Müller will das Ruder noch einmal herumreißen

CDU-Chef Frank Henkel tritt ab

Die Folgen der Wahl (1)

Du bist doch erst 52, da kann man noch mal neu anfangen!

Lieber Frank,

nun ist es also so weit. Du verlässt die erste Reihe der Berliner Landespolitik. Dass dein Innensenatorposten nicht zu halten sein würde – das hattest du ja sicher schon lange geahnt. Und weil du deine Union auf ein historisches Berliner Tief führen durftest mit 17,6 Prozent, hast du am Montagabend – folgerichtig – auch auf den weiteren Vorsitz in der Partei verzichtet.

Glückwunsch! Etwas Besseres konnte dir nicht passieren.

Denn irgendwie war das mit dir und deiner Partei und dem Wowereit und dem Müller ein riesengroßes – sagen wir – Missverständnis. Denn eigentlich bist du ja irgendwo noch ein richtiger Ostberliner und ganz netter Typ, fast so ein bisschen kumpelmäßig, meistens jedenfalls. Doch für die Partei hast du dich vor dem Senatorenposten als Haudrauf inszeniert; ein Auftritt, der zwar Spaß machen kann, aber weder zu dir noch zur Stadt passt.

Als Parteichef und Innensenator kamst du dann aus dieser Rolle nicht mehr raus. Und dann passten Anspruch und Wirkung deiner Arbeit im Senat dummerweise einfach nicht zusammen. Aber das hat dir deine Partei sicher schon gesagt.

Jetzt haben dich die WählerInnen freigelassen. Und die Berliner CDU musst du nur noch im Zaum halten, bis Monika Grütters im kommenden Jahr übernehmen muss.

Und du bist doch erst 52 Jahre alt. Da kann man noch mal neu anfangen! Schau mal auf deinen Sparringspartner im Innenausschuss, Christopher Lauer. Vor der Wahl ist der einstige Oberpirat noch flugs in die SPD eingetreten. Und Michael Müller sprach nach dem Scheinsondierungsgespräch mit der CDU, bei dem du auch dabei warst, diesen schönen, wenn auch im Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre absurd anmutenden Satz: „Es waren keine Punkte dabei, wo ich sage, man kann sich nicht einigen.“ Also, Frank, da geht noch was. Besseres.

Bert Schulz

Grüne wohl endlich am Ziel

Die Folgen der Wahl (2)

Das grüne Vierer-Team zog selbstbewusst in die Sondierungsverhandlungen

Am Wahlabend überwog bei den Grünen die Enttäuschung: Die Linkspartei überholte sie, die Ökos belegten am Ende nur den vierten Platz. Von hinten rückte zudem die AfD gefährlich nah heran. „Wir sind zufrieden, wenn wir uns auch mehr erhofft hatten“, lautete das Fazit von Parteichefin Bettina Jarasch am Montag.

Für die Zukunft der Grünen spielt ihr mäßiges Abschneiden nur bedingt eine Rolle: Denn unterm Strich steht, dass sie trotz des kleinen Rückstands 27 Sitze im neuen Parlament haben, ebenso viele wie die Linkspartei. Die beiden Fraktionen werden also gleich stark sein – und hätten auch in einer rot-rot-grünen Koalition gleich viel Gewicht. Und es wäre endlich – abgesehen von der naturgemäß wenig gestalterisch tätigen rot-grünen Übergangsregierung von Sommer 2001 bis Anfang 2002 – ihre erste Senatsbeteiligung seit 1990. Um das etwas plastischer zu machen: Ramona Pop, ihre heutige Spitzenkandidatin, war da dreizehn Jahre alt.

Insofern ist es nachvollziehbar, dass das grüne Vierer-Spitzenteam am Donnerstag nicht euphorisch, aber selbstbewusst zu den Sondierungsverhandlungen marschierte. Und danach sprach Jarasch auch schon davon, dass in dem Gespräch Vertrauen entstanden sei.

Denn das Besondere an dem mutmaßlichen Dreierbündnis ist ja, dass es augenscheinlich eine Koalition alter Kumpel ist, auf die viele ihre Hoffnungen setzen, weil in ihr zusammenkommt, was zusammengehört. Und bei einem alten Kumpel ist man üblicherweise weit enttäuschter, wenn der bei einer Sache nicht so will wie man selbst, als bei einer reinen Zweckpartnerschaft.

Kleine Ironie der Geschichte: Obwohl die Grünen bei dieser Wahl um einige Prozentpunkte schlechter abschnitten als 2011, als sie mit 17,6 Prozent ihr bis dahin bestes Ergebnis holten, rückt die Regierungsbeteiligung erst jetzt in greifbare Nähe. Die 17,6 erzielte diesmal übrigens die CDU – für die Christdemokraten das schlechteste Ergebnis aller Zeiten.

Antje Lang-Lendorff,
Stefan Alberti

AfD einfach entzaubern reicht nicht

Die Folgen der Wahl (3)

Auf eine Selbstentzauberung der AfD zu setzen, gerade in den Bezirken, ist fatal

Er hat Überwachungskameras installiert, die Mittel für so­zia­le Träger zusammengekürzt, Kenntnisse der deutschen Sprache für alle MieterInnen von Sozialwohnungen vorgeschrieben, die Kulturförderung heruntergefahren und für „integrationsverweigernde“ Eltern das Schulstartgeld gestrichen. Das alles rechtlich wasserdicht und genau den Verwaltungsvorschriften folgend. Andreas Rabl ist seit einem knappen Jahr der Bürgermeister von Wels, einer Stadt in Oberösterreich, der größten des Landes, die von der blauen FPÖ regiert wird. Was er in seiner bisherigen Zeit geschafft hat, ist politisch fatal – und es ist mit größtem Fleiß, ausgezeichneter Sachkenntnis und unermüdlicher Beharrlichkeit umgesetzt. „Blaue Musterstadt“ wird Wels genannt.

Warum es wichtig ist, gerade jetzt nach Wels zu schauen? Weil so ein Mythos entkräftet wird, der durch die Stadt geistert, spätestens nachdem am Sonntag klar wurde, dass die AfD künftig in sieben Bezirken mitregieren können wird: Man müsse die Blauen nur machen lassen, dann würden sie sich schon selbst entzaubern durch ihre Inkompetenz, dann würde den WählerInnen klar werden, dass die nur heiße Luft zu bieten haben.

Sicher: Es gibt in der AfD KandidatInnen, denen man anmerkt, dass sie keine Ahnung haben von Politik und Verwaltung. Der Neuköllner Vorsitzende Jörg Kapitän etwa, der kurz vor der Wahl zugab, gar nicht zu wissen, was so ein Stadtrat eigentlich so mache. Aber es gibt unter ihnen auch jede Menge Juristen, Verwaltungsmitarbeiter, Unternehmensberater – Menschen, die rein fachlich nicht weniger kompetent sein müssen als PolitikerInnen anderer Parteien.

Auf eine Selbstentzauberung der AfD zu setzen, gerade in den Bezirken, ist deswegen fatal: So gibt man der Partei erst die Chance, sich als sachkundige LokalpolitikerInnen zu profilieren, deren menschenverachtende Programmatik in den Hintergrund gerät. Stattdessen muss immer und immer wieder klar gemacht werden, dass diese Partei, solange sie sich nicht von rassistischen Positionen und Personen in ihren Reihen distanziert, keine ist, mit der man sich abfindet– egal, wie gut sie Bezirksverwaltung kann.

Malene Gürgen

Michael Müllers letzte Chance

Die Folgen der Wahl (4)

Hauptsache, es spricht keiner über das Wahldebakel der Berliner SPD

Vielleicht hat Michael Müller ja Glück. Weil die CDU am Wahl­abend ein noch schlechteres Ergebnis eingefahren hat als die SPD des Regierenden Bürgermeisters, musste Frank Henkel seinen Rücktritt anbieten (siehe Text ganz links). Ein Teil des politischen Berlin diskutiert seitdem, ob die Hauptstadt-CDU mit einer Quasi-Doppelspitze mit Monika Grütters und Mario Czaja wieder das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen kann. Hauptsache, es spricht keiner über das Wahldebakel des ziemlich schmallippig gewordenen SPD-Frontmanns.

Auch dass in dieser Woche die Sondierungsgespräche im Roten Rathaus begonnen haben, kann Michael Müller auf der Habenseite verbuchen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass am Ende von Sondierungen und Koalitionsverhandlungen Rot-Rot-Grün stehen dürfte.

Die Berlinerinnen und Berliner schreckt das nicht ab. Von allen Dreierkoalitionen, die möglich sind, ist ihnen ein Bündnis aus SPD, Linken und Grünen das liebste. Wieder einmal Glück für Müller, denn so ist die Trennung von seiner langjährigen Sprecherin Daniela Augenstein bald vergessen. Und auch, dass Müller auf dem Weg an die Spitze immer weniger Skrupel zu haben scheint.

Doch der Grat ist dünn für den 51-jährigen. Gerade weil zum Ende des Wahlkampfes zu sehen war, wie sehr Michael Müller unter Druck steht, dürften die Koalitionsgespräche seine letzte Chance sein, den Schalter noch einmal umzulegen. Anders als Erwin Sellering in Mecklenburg-Vorpommern oder Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz hat es „Müller, Berlin“ nicht geschafft, einen formidablen Schlussspurt hinzulegen.

Im Gegenteil: Noch in der Wahlnacht war sein Ergebnis von Stunde zu Stunde geschrumpft. Als die SPD 1999 mit 22,4 Prozent ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis eingefahren hatte, titelte die taz „SPD deutlich über Fünfprozenthürde“. Und diesmal?

Wenn die SPD nicht weiter im Sinkflug bleiben will, braucht Müller ein handlungsfähiges und erfolgreiches Senatsbündnis. Es geht um Vertrauen, das die Landesregierung, das die Verwaltung, das die Bürgerämter wieder zurückgewinnen müssen. Es ist ein Büßerdienst am Berliner Bürger, den Rot-Rot-Grün, vor allem aber Müller leisten muss. Ob er kann? Falsche Frage. Er muss. Oder das war’s.

Uwe Rada