Überraschende Renaissance

Daily Dope (716) Etliche russische Athleten manipulieren mit dem DDR-Präparat Oral-Turinabol

Als der Kanadier Richard McLaren kürzlich seinen im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) erstellten unabhängigen Untersuchungsbericht zum Staatsdoping in Russland vorlegte, gab es eine bemerkenswerte Überraschung. Das bereits seit den sechziger Jahren eingesetzte Standard-Dopingmittel im DDR-Staatssport, Oral-Turinabol, erlebt mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall in Russland eine Renaissance.

Wie der Jurist Richard McLaren festhielt, haben sich viele Athleten in Russland in den vergangenen Jahren mit Oral-Turinabol gedopt. Allein 18 Mal wird die Verwendung größerer Mengen von „Oral-Turinabol“ in dem Report festgestellt. Kein anderes Anabolikum fand sich häufiger in den in Russland vertuschten Urin-Proben. 1994 hatte der Arzneimittelhersteller Jenapharm die Produktion des Präparats allerdings eingestellt.

Das Unternehmen Jenapharm, dass heute zum Bayer-Konzern gehört, erklärte aktuell dazu, dass die damals noch vorhandenen Lagerbestände vernichtet wurden. Oral-Turinabol ist ein starkes Hormonpräparat mit erheblichen Nebenwirkungen. Über 200 DDR-Sportler sind als Doping-Opfer staatlich anerkannt, etliche sind bereits an den Folgen der Gesundheitsschäden gestorben. Dennoch wird das Präparat bis heute gehandelt.

Der Heidelberger Anti-Doping-Experte Werner Franke vermutet: „Es muss irgendwo eine größere Produktionsstätte geben, die Oral-Turinabol mit dem Wissen aus der DDR herstellt.“ Jenapharm teilte mit, die Firma habe „keine Know-how-Transfers oder Schulungen“ durchgeführt. Franke fordert die Wada nun auf, „die Internet- und Verteilungswege solcher Präparate auch im aktuellen Fall Russland aufzuklären“.

Franke kritisiert allerdings auch die Wada: „Die größte charakterliche Schweinerei der Wada ist, dass die russische Diskuswerferin Darja Pischtschalnikowa, die geheime Unterlagen zum Staats-Doping und zur Korruption vertraulich zu Aufklärungszwecken an die Welt-Anti-Doping-Agentur geschickt hatte, von der Wada ans Messer geliefert wurde, indem die Wada ihre Unterlagen an die Rusada nach Moskau zurückgeschickt hatte.“ Damit war Pischtschalnikowa im eigenen Land als Sport-Verräterin gebrandmarkt. 2008 in Peking war sie wegen Dopings gesperrt, in London gewann sie Olympia-Silber. 2013 wurde sie dann vom russischen Leichtathletikverband für 10 Jahre gesperrt. THOMAS PURSCHKE