„Bitte mal alle wieder runter-kommen!“

Das bleibt von der Woche Die AfD wirbt mit Kiffern und Schwulen, die SPD will die Rigaer94 kaufen, die Begegnungszone im Bergmannkiez wird entschleunigt, und Berlin wird kräftig nass

Zwangspause für die Chefideologin

Wahlkampf der AfD

Die Plakate sollen die AfD zur liberalen Hauptstadtpartei stilisieren

Die AfD hatte große Schwierigkeiten, eine Werbeagentur zu finden, die für sie arbeiten will, erzählt Georg Pazderski freimütig. Passt ja auch gut zur Opferrolle, die die Rechtspopulisten so gerne geben. Letztlich habe sich doch eine bereit erklärt, so der Spitzenkandidat der Berliner AfD am Donnerstag bei der Wahlkampf-Pressekonferenz. Ab Sonntag hängt das Ergebnis: Dann dürfen alle Parteien mit Postern um Stimmen bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September werben.

Die meisten Plakate der AfD sind wenig überraschend: mehr Sicherheit, sprich mehr Polizei, Islambashing billigster Art, angebliche Bürgernähe, Einsatz für Russlanddeutsche. Das dürfte leider schon reichen für das Überspringen der Fünfprozenthürde.

Doch jenseits des Dumpfbackigen hat sich die Partei mehr getraut, als man erwarten durfte: Auf einem Poster wirbt ein schwules Pärchen für die AfD, auf einem anderen ein Kiffer. Sie bedienen dabei zwar andere Feindbilder der Partei, indem sie über Muslime und den Sozialstaat herziehen; auch sind die platten Slogans à la „Mein marokkanischer Dealer kriegt sein Leben komplett vom Staat finanziert“ anfällig für Hohn und Spott. Aber die Plakate versuchen zumindest eine Verbindung von AfD und hauptstädtischer Liberalität herzustellen – was zwar falsch, aber neu wäre. Und gefährlich, weil erfolgversprechend, da es der Partei einen toleranten Touch geben würde.

Dies wiederum dürfte der christlich-konservativen Beatrix von Storch, Ko-Chefin des Berliner Landesverbands, kaum gefallen. Die soll zwar im Wahlkampf eine Rolle spielen – aber offenbar keine große. Schließlich kandidiert sie auch nicht fürs Abgeordnetenhaus.

Zuletzt hatte sich Storch zu einem unkontrollierbaren Ego-Shooter entwickelt, dessen stets schrill-fundamentalistische Thesen in einer Stadt wie Berlin kaum vermittelbar sind. Je weniger sie in den nächsten Wochen auftritt, desto erfolgreicher dürfte die AfD abschneiden. Das Umfärben von Braun in Blau – mit letzterer Farbe wirbt die AfD –, es hätte funktioniert.

Diese Kampagne macht es den anderen Parteien eher schwerer: Sie müssen stetig zeigen, dass es auch die andere AfD gibt: die auf Flüchtlinge schießen will und der Homophobie Vorschub leistet. Bert Schulz

Die eine Seite hat dazugelernt

Zone der Begegnung

Ist es so schlimm, noch mehr Kiezleben auf die Straße zu verlagern?

Man könnte jetzt hämisch sein: Dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Sachen „Begegnungszone Bergmannstraße“ jetzt zwei Gänge zurückgeschaltet haben, daran sind die blöden Behörden ja wohl selbst schuld. Denken sich am Schreibtisch aus, wie sie einen Kiez mit überflüssigem Stadtmobiliar und den neuesten Methoden der Autofahrervergrämung zwangsbeglücken können. Bloß haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht – bzw. ohne die Wirte, die zusammen mit anderen Gewerbetreibenden und vielen AnwohnerInnen keinen Zweifel daran ließen, dass sie diese Idee reichlich bescheuert finden.

Ja, da ist sicherlich etwas dran. Aber speist sich die teilweise ex­trem polemische Ablehnung des Entschleunigungsprojekts „Begegnungszone“ nicht auch aus einer verdammt konservativen Haltung? Ist denn der Kreuzberger Einzelhandel wirklich auf jeden einzelnen Kfz-Parkplatz angewiesen? Ist es denn so schlimm, noch ein bisschen mehr Kiezleben auf die Straße zu verlagern? An dieser Stelle schlägt der jahrzehntelang eingeübte linksantiautoritäre Reflex bei manchen in reaktionäres Kleinbürgertum um.

Trotzdem ist auch hier wie so oft nichts schwarz-weiß. Und deshalb ist es sehr erfreulich, dass Senat und Bezirk nun eine Zwischenstufe mit temporären Lösungen in den Projektablauf einziehen. Das macht den gesamten Prozess noch langwieriger, verhindert aber, dass sich irgendjemand nicht mitgenommen fühlt. Bei den bisherigen Dialogformen im Rahmen der Bürgerbeteiligung war das nicht ganz von der Hand zu weisen. Dass trotz aller schick verpackten Mitspracheangebote am Ende doch wieder nur Profi-StadtplanerInnen am Reißbrett entscheiden, dieser Eindruck konnte entstehen.

Die eine Seite hat jetzt dazugelernt – Grund genug für die ganz Verbissenen auf der anderen Seite, dasselbe zu tun. Claudius Prößer

Heimlicher Aufruf zur Gewalt

Kauf der Rigaer Straße

Man muss nicht Henkel sein, um den Befriedungsdeal kritisch zu sehen

Auch wenn die CDU auf die Barrikaden geht: Die SPD meint es ernst. Warum nicht die Rigaer Straße kaufen, um einen Dauerkonflikt zu entschärfen, sickerte es Anfang der Woche durch. Als Käufer stünde die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo bereit. Oder als Verwalter. So genau weiß man das noch nicht im Hause des Finanzsenators und des Stadtentwicklungssenators. Genauso wenig, wie man weiß, wem das „Problemhaus“ eigentlich gehört. Aber das ist ja auch egal, Hauptsache, der Deal klappt: Ruhe gegen Geld.

Dass die CDU das nicht lustig findet, überrascht nicht. Schon lange führt Innensenator und Spitzenkandidat Frank Henkel einen Privatkrieg gegen die autonomen Bewohnerinnen und Bewohner. Mit dem Recht nimmt er es dabei mitunter genauso wenig genau wie die Unterstützerszene. Die Teilräumung im Juni, beschied ein Gericht, war illegal.

Doch man muss kein Law-and-Order-Mann wie Henkel sein, um den geplanten Befriedungsdeal kritisch zu sehen. Was, wenn die Degewo den Bewohnern Verträge gibt, die erwünschte Ruhe im Friedrichshainer Nordkiez aber nicht eintritt? Und überhaupt: Welches Signal würde ein solcher Pakt für die Wählerinnen und Wähler bedeuten? Dass diejenigen belohnt werden, die bisher jedes Verhandlungsangebot – darunter den Verkauf an eine Stiftung – abgelehnt haben?

Wir erinnern uns: Schon einmal war es im Gespräch, „Problemhäuser“ durch eine landeseigenen Gesellschaft zu übernehmen. Es ging um die Großgörschenstraße und Katzlerstraße in Schöneberg, deren Bewohnern durch einen Verkauf der bundeseigenen Bima Verdrängung drohte. Als möglicher Käufer war die Gewobag im Gespräch. Die aber zog zurück, weil der Kaufpreis eine wirtschaftliche Nutzung nicht erlauben würde. Der Staat wollte nicht den Preistreiber spielen; ein Argument, das man gut nachvollziehen kann.

In der Rigaer Straße, heißt es, müsse das Land nun 4 Mil­lio­nen Euro hinblättern. Für die Degewo, die gehalten ist, wirtschaftlich zu handeln, wäre das nur mit einer Luxusmodernisierung machbar. Das aber würde keine Ruhe schaffen, im Gegenteil. Oder aber man würde, als Teil des Hoffens auf Ruhe, in ein Verlustgeschäft einsteigen.

Das aber wäre nichts anderes als eine Verhöhnung der Mieterinnen und Mieter in Schöneberg und anderen Häusern, die ebenfalls hoffen, von einer Wohnungsbaugesellschaft übernommen zu werden. Oder ist es sogar ein Aufruf zur Gewalt: Je mehr Autos ihr anzündet und je mehr Barrikaden ihr baut, desto größer eure Chance, dass wir nach einer Lösung suchen? Uwe Rada

Von einer Erregung zur nächsten

Terror, Schüsse, Unwetter

Ist das der Moment? Hat der IS nun in der Hauptstadt zugeschlagen?

Bei vielen BerlinerInnen dürfte die Kurve der inneren ­Aufregung schon am Montagmorgen einigermaßen hoch gewesen sein. München, Reutlingen, Ansbach: Das ganze Wochenende über hatte es Nachrichten von Amokläufern, Mördern, Attentätern gehagelt – wie immer sie im Einzelnen auch qualifiziert wurden. Ist es da nicht logisch, dass früher oder später – und eigentlich eher früher als später – auch Berlin an der Reihe ist? Schließlich ist die Stadt voll von gescheiterten, frustrierten und verrückten Männern jeglicher Couleur.

Dienstagmittag ist es dann so weit: Schüsse im Benjamin-Franklin-Krankenhaus, ein Arzt getötet. Die immer besonders schnelle Bild meldet, dass der Täter auch tot sei, trotzdem soll ein Sondereinsatzkommando der Polizei vor Ort sein. Ist das der Moment? Hat der IS nun in der Hauptstadt zugeschlagen?

Zum Glück stellt die Polizei binnen kürzester Zeit klar, dass es sich wohl nicht um eine terroristische Tat handelt. Der Täter ist Deutscher und noch dazu 72 Jahre alt. Ein Verrückter erschießt seinen Kieferorthopäden. Schrecklich, gewiss. Aber irgendwie fast schon Alltag in dieser Stadt der Freaks. Die Aufregungskurve sinkt wieder – die erhöhte Alarmbereitschaft, in der wir uns seit der Serie von Gewalttaten fühlen, ist fast schon „normal“ geworden.

Dann fällt Mittwochnachmittag der Himmel auf Berlin: Ein Unwetter setzt die Stadt unter Wasser, in der Abendschau wird es später heißen, in solchem Ausmaß gebe es das nur alle 50 Jahre. Die Erregungskurve ist sofort wieder ganz oben, das „Jahrhundertgewitter“ ist Thema auf allen Kanälen von RBB bis Facebook, alles redet, zwitschert, tratscht über vollgelaufene Keller, gestapelte Autos im Gleimtunnel. Die Feuerwehr ruft den „Ausnahmezustand“ aus – einen Begriff, den wir in letzter Zeit auch irgendwie öfter gehört haben.

Halt – stopp. Klarstellung: Wir haben jetzt hier keine Zustände wie in der Türkei! Es gab etwas viel Regen, ja, und die Rettungskräfte waren deswegen reichlich beschäftigt. Aber bloß weil sich die halbe Stadt ausufernd mit einem Thema beschäftigt, heißt es nicht, dass es wirklich wichtig ist. Es könnte auch sein, dass wir alle ein bisschen viel nach Aufregung lechzen in diesen Zeiten – beziehungsweise nach Ablenkung von dem, was eigentlich wichtig, aber eben auch schrecklich ist. Aber das kann kein Dauerzustand sein. Also bitte mal alle wieder runterkommen! Susanne Memarnia