Heike Holdinghausen über Reden in Europa
: Eine Kampagne für die EU, bitte!

Ja, ist schon richtig, die EU-Kommission betreibt eine miese, einseitig industriefreundliche Politik. Das zeigen die wachsweichen Kriterien für gefährliche Chemikalien, die der EU-„Gesundheits“-Kommissar in Brüssel vorgelegt hat. Wahrscheinlich wird am Donnerstag das nächste Beispiel folgen, wenn die Bestimmungen für Konfliktmineralien bekannt werden, die Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten ausgehandelt haben.

Diese beiden Entscheidungen sind aber gleichzeitig Beispiele dafür, dass sich die EU zu einem gemeinsamen politischen Raum entwickelt hat. Umwelt-, Entwicklungs- und Verbraucherschutzorganisationen aller Mitgliedsstaaten treten in gemeinsamer Lobby- und Pressearbeit auf und schaffen eine europäische Öffentlichkeit für ihre Anliegen.

So unüberschaubar die politischen Prozesse in Brüssel zwischen den drei Institutionen sind, so vielfältige Einflussmöglichkeiten bieten sie. Und zwar nicht nur für mächtige Industrielobbys. Die Macht von Mitgliedsstaaten und Kommission ist nicht mehr ungebrochen, das Parlament ist längst ein ernst zu nehmender Mitspieler, in der jetzigen politischen Konstellation ein oft progressiver.

Angesichts von Brexit und Schuldenkrise ist der Zerfall der EU denkbar geworden. Nun gilt es, im Blick zu behalten, welche Möglichkeiten sie für politische Teilhabe und Mitbestimmung bietet. Denn nicht nur für Unternehmen sind 470 Millionen Menschen eine gewichtige Größe, auch für NGOs, die global mehr Handelsgerechtigkeit durchsetzen wollen.

Wer in Deutschland strikte Vorgaben für Chemiekonzerne will, dem wünscht man die Schützenhilfe der progressiven Skandinavier in Parlament und Ministerrat. Neben allen offenen Briefen an Brüssel wünschte man sich derzeit vor allem dringend eine Kampagne für die EU, für ein gemeinsames Europa, von links, von Ökos, von Globalisierungskritikern. Auch wenn’s mit dieser Kommission vielleicht wehtut.

Wirtschaft + Umwelt